Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Inbegriff des Unerhörten. Ganz anders reagieren die Mädchen beim BDM .
»Du traust dich ja was«, sagt Hedwig fast neidisch. »Haben deine Eltern dir das erlaubt?«
»Nein, aber Oma. Die hat mir sogar das Geld geschenkt. Meine Eltern sind in Berlin. Die wissen noch nichts«, antworte ich. Und beim Gedanken an deren Rückkehr wird mir doch ein wenig mulmig …
»Was ist denn mit dir passiert?« Das sind die ersten Worte meiner Mutter, als sie das Haus betreten hat. Entsetzt sieht sie mich an. »Wo sind deine Zöpfe geblieben?«
»Sieht das nicht toll aus?« Oma stellt sich schützend neben mich. »Ich habe es ihr erlaubt. Nein, ich habe ihr sogar zugeraten. Und ihr erzählt, wie du früher warst.« Oma lacht verschmitzt. »So sieht sie doch viel erwachsener und hübscher aus.«
»Aber die Zeiten haben sich geändert«, sagt Mama nur.
Mein Vater sieht mich kurz an und kneift die Lippen zusammen.
Oma schiebt die beiden mit sanfter Gewalt ins Esszimmer, wo ich vorher den Tisch festlich gedeckt habe. »Jetzt setzt euch erst mal hin und erzählt. Wir sind schon so gespannt! Ihr verreist und dann mäkelt ihr nur an uns hier herum. Ich habe auch eine Kleinigkeit gekocht.«
Wir setzen uns und Mama sprudelt los. Sie erzählt von den Festmärschen, den prächtigen Bällen. »An einem Abend waren wir sogar zu einer Operettenaufführung geladen. Das war ein Erlebnis, sage ich euch.«
Mein Vater spricht während der ganzen Mahlzeit nicht, aber ich spüre seine Blicke auf mir. Er sieht mich an, als wäre ich eine fremde Person.
Er erzählt dann von der Zuversicht, die der Führer ausstrahlt. Davon, dass sich etwas Neues, etwas Großartiges entwickelt. »Das ist in Berlin deutlich zu spüren – während ich hier in meinem eigenen Haus Dinge sehe, die ich nicht tolerieren kann und die nicht passen.« Er wirft sein Besteck neben den Teller. Es klirrt, und braune Soße bekleckert das weiße Tischtuch.
Ich zucke zusammen und erröte. Mein Blick klebt auf dem Tischtuch, und ich weiß, dass das letzte Wort zu meiner neuen Frisur noch nicht gesprochen ist. Mama hüstelt, und Oma sagt: »Ach Gott, jetzt seid mal nicht so. Sie ist schließlich fast schon groß.«
»Das sehe ich anders«, sagt mein Vater mit schneidender Stimme.
Am nächsten Tag fährt er Oma und Opa zurück. Oma nimmt mich zum Abschied in den Arm und flüstert mir leise ins Ohr: »Dein Vater beruhigt sich bald wieder. Es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
Oma irrt sich. In den kommenden Tagen spricht Papa kein Wort, behandelt mich wie Luft. Sogar Mamas Versuch, ihn mit meiner neuen Frisur zu versöhnen, scheitert kläglich. Ich stehe an der Tür und lausche, wie sie streiten.
»Erich, du übertreibst. Sie ist so hübsch. Wie die Mädchen in der Hauptstadt. Sie ist doch kein Kind mehr.«
Die Antwort meines Vaters höre ich nicht. Hans kommt um die Ecke.
»Ah, wen haben wir denn da?
Der Lauscher an der Wand
… oder wie geht das Sprichwort?« Er stellt mit seinen Händen eine Schere dar, die einen Zopf abschneidet.
»Du kannst so gemein sein.« Mit Tränen in den Augen renne ich die Treppe hoch.
Zwei, drei Abende später ruft mein Vater mich in sein Arbeitszimmer. Er sitzt hinter seinem mächtigen Schreibtisch und raucht Zigarre. Wie immer liegt alles an seinem Platz: Tintenfass, Löschpapierroller, Stifthalter, Aschenbecher. Doch das Lineal hält er in der Hand. Ich zucke zusammen. Mir klopft das Herz bis zum Hals.
Er steht auf und sagt müde: »Setz dich, Paula. Ich habe mit dir zu reden.« Und er drückt mich in einen der großen Sessel direkt am Fenster. Es ist einer von diesen Sesseln, in denen man versinkt und aus denen eine Flucht unmöglich ist. Papa selbst bleibt stehen und sieht auf mich herunter.
»Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vorgeht.« Seine Stimme ist leise und gefasst. »Erst deine Extratouren mit dieser Halbjüdin, dann deine großartige Idee mit der Büchersammelaktion, und jetzt das.« Er deutet auf meinen Kopf.
»Papa, ich …«
»Ich bin noch nicht fertig!«, unterbricht er mich barsch. »Ich habe es dir schon einmal gesagt: Überlege dir gut, wo du hingehörst. Du bist die Tochter eines Polizeimajors und Parteigenossen, und da hast du nichts Besseres zu tun, als knutschend hinter der Servatiikirche zu stehen?« Seine Augen drücken Enttäuschung aus. »Woher ich das weiß, möchtest du wohl gerne wissen? Mensch, Paula! Diese Stadt ist so klein, da ist man bei den Leuten schnell unten durch.
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