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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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schwarz lauert die Lokomotive. Niemand ist zu sehen.
    In der Mitte der Halle entdecke ich ein Bahnwärterhäuschen. Es ist offen. Ich schlüpfe hinein und ziehe leise die Tür hinter mir zu. Sie knarrt. Ich ducke und kauere mich unter das Fensterbrett und versuche, immer noch atemlos, draußen irgendetwas mitzubekommen. Mittlerweile fällt Schnee.
    Die Uniformierten treffen als Erste ein. Sie springen von ihren Fahrzeugen und bilden eine undurchdringliche Mauer. Jetzt kommen die Busse. Die Bremsen knirschen. Sie halten direkt vor den Abteiltüren. Die Türen fliegen auf.
    »In die Züge! Alles in die Züge! Achtet auf die Nummern.« An den Waggons hängen Tafeln, auf denen
Nach Riga
steht. Darunter sind die Transportnummern vermerkt. Ich kann in einige Gesichter sehen: erschrocken, blass, eingefallen. Aber ich kann Mathilda nirgends entdecken. Auch ihre Mutter nicht. Schließlich, als hätte sich die Dunkelheit noch tiefer über uns gelegt, vermag ich nur noch Uniformierte von Geprügelten zu unterscheiden. Die Masse hat ihr Gesicht verloren.
    Ich höre unterdrücktes Schluchzen, von den Flüchen der Wachmannschaften unterbrochen. Die Menschen verteilen sich, die Türen werden geschlossen. Dunkel und stumm stiert der Zug in die Nacht. Von den Pferdewagen der Spedition werden die Gepäckstücke in die hinteren Waggons verladen. Die Motoren der Mannschaftswagen tuckern. Die Fahrer geben Gas. Männer mit geschulterten Gewehren bleiben neben den Gleisen zurück. Sie bewachen den Zug. Sie sind überall.
    Ich kämpfe mit meinen Tränen und versuche doch leise zu sein. Dann presse ich den Schal auf meinen Mund.
    Und plötzlich die Erkenntnis: Ich sitze in der Falle. Die Tür zu meinem Versteck öffnet sich knarrend. Eine große, massige Gestalt steht im Türrahmen. Der Mann trägt einen Mantel und eine schwarze Eisenbahnermütze auf dem Kopf. Das spärliche Licht einer Taschenlampe wandert durch den Raum. Mein Blick folgt dem Lichtkegel. Ein schäbiger Schreibtisch steht an einer Wand, überall Stühle. An der Wand hängt ein Foto des Führers. Er blickt streng.
    Da trifft mich der Strahl der Lampe.
    »Wen haben wir denn da?«, fragt eine tiefe Stimme. Angst schnürt mir die Kehle zu. »Gehörst du zu denen da draußen?« Die Stimme kommt näher. Der Mann riecht nach Öl. Eine kräftige, schwielige Hand mit schmutzigen Fingernägeln hält die Lampe. Die andere Hand packt mich, zieht mich hoch. Der Blick des Mannes huscht über meinen Mantel.
    »Hast du ihn abgerissen?«, fragt er.
    »Nein, nein«, stottere ich, »ich hab keinen Stern abgerissen, aber …«
    »Was aber?«, unterbricht er mich und packt mich fester. »Gehörst du dazu oder nicht?«
    »Nein«, sage ich und fühle mich schlecht dabei. Warum habe ich das gesagt? Ich gehöre doch zu Mathilda. »Mein Vater ist der Polizist da«, füge ich unsicher an. »Aber er weiß nicht, dass ich hier bin.«
    »Dann schnüffelst du also hinter ihm her?« Der Mann lacht rau auf. Plötzlich verändert sich sein Gesicht. »Auch gut«, murmelt er, »endlich mal eine, die nicht kalt zuschaut.« Er lässt mich los. Gott sei Dank.
    Sofort lausche ich wieder nach draußen. Was passiert da? Was machen die mit all den Juden?
    »Alfons?« Eine andere Stimme kommt von der Tür. »Alles in Ordnung bei dir? Führst du Selbstgespräche?«
    »Ja, genau«, ruft der Mann zur Tür hin. Seine wachen Augen sehen mich an. Er schiebt die Schirmmütze in den Nacken. »Häng die hinteren Waggons ab. Die bleiben hier«, sagt er zu dem Unsichtbaren. »Und dann mach für heute Feierabend!«
    Knarrend wird die Tür zugezogen.
    Der Mann steht auf und kramt in seiner Umhängetasche. »Du sitzt ganz schön in der Patsche, Mädchen.«
    »Tun Sie mir nichts, bitte. Verraten Sie mich nicht.«
    »Tun? Warum sollte ich dir etwas tun?« Er schraubt eine Thermoskanne auf und gießt eine dampfende Flüssigkeit in einen Becher. Es riecht sofort nach Muckefuck * . Er streckt seinen Arm aus. »Trink, Mädchen. Wird dir guttun.«
    Ich hasse kaum etwas so sehr wie Muckefuck. Aber jetzt greife ich dankbar nach dem Becher. Er wärmt meine gefrorenen Finger. Ich schlürfe vorsichtig. »Sie verraten mich nicht?«
    »An wen? An die da draußen? Ich?« Er verzieht verächtlich den Mund, hält eine Tabakspfeife in der Faust und stopft sie bedächtig. »Das sind Lumpen. Man beschmutzt sich, wenn man sich mit denen einlässt. Auch wenn das dein Vater ist.« Er betrachtet seine Fingernägel. Ein Feuerzeug flammt auf. Er zieht an

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