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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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festes Schuhwerk und warme Kleidung angeordnet sind. Nur die für solche Fälle gepackten Taschen haben wir noch greifen können. Opa Bröker runzelt die Stirn, als er unsere Aufmachung sieht, sagt aber nichts. Er ist unbegreiflicherweise immer schon vor uns im Keller und wacht wie üblich an der Tür. Manchmal frage ich mich, wie er das hinbekommt.
    »Wie kann der schneller sein als wir, die wir in diesem Haus wohnen?«, flüstere ich Hans zu.
    »Vielleicht hat er einen direkten Draht zu den Tommys. Die funken ihn immer an, wenn sie in London losfliegen«, flachst Hans. »Oder er bleibt einfach immer im Keller.«
    »Quatschkopf.« Ich stoße ihm meinen Ellenbogen in die Rippen. »Hör mal.« Ich zeige auf Opa Bröker. Der erklärt nämlich gerade einem kleinen Mädchen, das vor Angst zittert: »Wenn du die Bomben pfeifen hörst, dann schlagen sie nicht bei dir ein, sondern weiter weg.«
    »Das ist ja wirklich beruhigend«, raune ich, »dann trifft es Gott sei Dank nur andere.« Trotzdem lausche ich ganz genau auf das pfeifende Geräusch. Gleichzeitig denke ich an Gertrud, die bestimmt in der Sonnenstraße im Keller sitzt und wahnsinnige Angst hat. Und wo mag Mathilda jetzt sein?
    Hans verzieht sich unter eine Decke und lehnt sich an mich. Ich lege meinen Arm um ihn, wie Mama es tun würde, und er schüttelt ihn nicht ab. Die alte Frau Meisner ist mit uns im Keller. Sie bringt immer ihren Wellensittich im Vogelbauer mit und erzählt ihm Geschichten. Herr Heiming von gegenüber läuft auf und ab. Auch wenn Opa Bröker ihn mit strenger Stimme auffordert, sich zu setzen. Er kann einfach nicht stillhalten. Er nimmt zwar kurz Platz, setzt dann aber seine Wanderung fort. Irgendwann lässt Opa Bröker ihn einfach laufen. Ich wünschte, unsere Eltern wären schon da …
     
    Nach drei Stunden ist endlich Entwarnung, und wir können wieder nach oben gehen. Papa und Mama sind immer noch nicht angekommen. Allmählich werden wir unruhig. Hans und ich laufen immer wieder auf die Straße, um nachzuschauen. Als ob sie davon schneller kämen.
    »Wo bleiben sie bloß?« Hans’ Stimme zittert ein wenig.
    Eine weitere Stunde vergeht, und es ist stockdunkel. Ich sehe, dass Hans mit den Tränen kämpft. Möglichst unauffällig wischt er sie mit dem Handrücken weg. Obwohl ich auch am liebsten vor Sorge aufheulen würde, muss ich doch einen klaren Kopf behalten. Schließlich bin ich die Große!
    »Pass auf, es wird alles gut«, tröste ich ihn und will selbst daran glauben. Wir gehen zurück ins Haus, setzen uns ans Küchenfenster und starren nach draußen. Und dann biegt endlich ein Auto in die Straße ein, die Lichter blenden uns. Ich stürze noch vor Hans die Treppe hinunter – und falle Mama in die Arme.
    »Endlich! Euch ist nichts passiert. Mensch, bin ich froh!« Jetzt steigen auch Oma und Opa umständlich aus dem Auto aus.
    Am nächsten Tag bringen wir unsere Eltern zum Bahnhof.
     
    Mit Oma und Opa läuft das Leben in fast gewohnten Bahnen. Mit den beiden kommen Heiterkeit und Unbeschwertheit zurück. Es ist beinahe wie früher, als ich noch bei Papa auf dem Schoß saß und er mir Geschichten vorlas.
    Mein Großvater sitzt im Hemd und mit Hosenträgern im Herrenzimmer an Vaters aufgeräumtem Schreibtisch, trinkt noch einen Cognac und raucht Papas Zigarren. Gelegentlich macht er Witze über den dicken »Reichsjägermeister«, wie er Hermann Göring nennt. Der hat nämlich versprochen, Meier zu heißen, sollte jemals ein feindliches Flugzeug über deutschem Boden erscheinen.
    Hans ermahnt ihn in gespielter Verzweiflung: »Opa, hör mit deinen Witzen auf. Nicht alle verstehen das.«
    Ich sitze lieber mit Oma in der Küche und blättere in Mamas Modezeitschriften, die verstreut auf der Eckbank liegen. Oma backt Plätzchen. Einmal schaut sie mir über die Schulter und zeigt auf ein Foto, das eine junge Frau in einem schmal geschnittenen Kostüm mit doppelter Knopfreihe, kleinem runden Kragen und einem Bubikopf zeigt.
    »Da, guck mal!« Ihr Blick wandert zwischen mir und dem Foto hin und her. »Das könnte dir auch stehen.«
    »Was meinst du, Oma? Das Kostüm, die Pumps oder die Frisur?«
    »Mal ehrlich, weder das Kostüm noch die Pumps passen zu deinen braven Zöpfen.«
    »Also der Haarschnitt?«, frage ich und erinnere mich daran, wie ich neulich abends nach meiner Auseinandersetzung mit Franziska vor dem Badezimmerspiegel stand, mir die Haare mit beiden Händen hoch hielt und mich so um vieles interessanter fand als mit meinen

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