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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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dir ein paar Stunden zum Nachdenken. Vielleicht hilft dir die Zeit hier oben. Wenn ich das nächste Mal komme, möchte ich alles hören. Das ist ein Ultimatum. Nur wenn du sprichst, wirst du verschont.« Er steigt, ohne mich anzuschauen, die Treppe hinunter und schließt die Luke.
    Meine Augen starren voller Furcht in das Dunkel. Was verlangt er da von mir? Womit genau droht er mir?
    Ich muss bitter lachen. Wen oder was soll ich eigentlich verraten? Ich kenne weder Schuberts Aufenthaltsort, noch weiß ich, wer der Bote ist. Vielleicht Berning. Dabei denke ich an die beige Jacke, die ich in der Nähe des Geheimbriefkastens und im Stall bei Berning gesehen habe. Aber ich bin doch nicht sicher. Das ist doch nur eine vage Vermutung. Das ist alles, was ich weiß. Ich weiß wirklich nicht mehr. Am liebsten würde ich es laut herausschreien. Sollen es doch alle hören.
    Aber was, wenn sie mich jetzt auch in die Gutenbergstraße bringen oder wer weiß wohin? Dahin, wo man schreit, wo man mit blutigem Gesicht herauskommt.
    Nein, ich sage nichts, auch nichts von den kleinen, vagen Vermutungen. Auch nichts von dem Briefkasten. Sie würden sonst dem Boten auflauern und ihn so lange verhören, bis er sie zu Mathilda führt. Das darf nicht geschehen! Die Entscheidung ist für mich klar. Ich verrate niemanden. Ich sage kein Wort.
    Papa hat sich für den Führer entschieden und ist sein treuer Handlanger geworden. Alles, was er tut, geschieht aus Überzeugung, wie er sagt. Er hat sich gegen mich entschieden, nicht umgekehrt.
    Was hat er mit mir vor? Will er, dass ich alles verliere? Auch Mama und Hans? Ich habe sie doch so lieb!
    Und unser Haus, den BDM , meine Schule? Muss ich das alles hinter mir lassen?
Trotzdem! Ich kann nicht. Ich sage nichts.
    Lange lausche ich in die unendliche Stille dieser Nacht, sage sie laut auf, die Litanei all der Dinge, die ich verlasse. Und antworte immer: »Ich sage nichts.« Trotzdem lausche ich, als würde mir da von irgendwoher ein rettender Hinweis kommen. Aber ich höre nur meine Angst. Was, wenn sie mich wie die Juden in einen Waggon stecken und abtransportieren? Wenn sie mich in die Gutenbergstraße zerren? Wie den Swingjungen, der so übel zugerichtet war?
    Da richte ich mich dabei langsam auf und höre mich plötzlich in diese große Stille hinein sagen: »Unter diesem Dach kann ich nicht mehr leben.«
    Ich wiederhole es dreimal. Es ist ein Gelöbnis. Es ist ein Versprechen. Und dabei weiß ich jetzt genau, in welche Leere ich mich hineinbegebe, wenn ich schweige. Doch einen Weg zurück gibt es nicht.
    Und dann packt mich auf einmal ein anderer Schmerz, ein tiefer, heftiger Schmerz.
    Mein Vater, er ist doch mein Vater.
Erst flüstere ich es ganz leise in das Dunkel, dann möchte ich es in die Nacht hinein schreien. Ich hab ihn lieb. Wie ist er zu diesem kalten, herzlosen Mann geworden? Wie kann er solche Dinge tun? Ich schreie es in das Dunkel. Ich heule es laut in die Nacht.
    Und ich bekomme keine Antwort auf meine Fragen.
     
    Die Luke öffnet sich. Er stellt sich sofort über mich, beide Beine rechts und links von mir in den Boden gepflanzt. Genauso hat er gestanden, als die Schläge auf mich herabprasselten. Ich muss zu ihm hinaufschauen. Er stellt mir die gleichen Fragen wie vor einigen Stunden. Beherrscht. Erbarmungslos. Kalt. »Wie hast du dich entschieden?«
    Ich schweige.
    »Dann musst du jetzt dein Zuhause verlassen.«
    Ich nicke.
    Er packt mich, bindet mir ein Tuch vor die Augen. Er zurrt das Tuch ganz fest. Ich sehe nichts, bekomme kaum mehr Luft. Er zerrt mich die schmale Stiege hinunter, die Treppe hinab, nach draußen. An Weglaufen ist nicht zu denken. Seine Hände halten mich umklammert und schleifen mich weiter. Wo ist Mama? Wo Hans? Warum helfen sie mir nicht? Ich will rufen, aber die Stimme versagt mir. Werde ich sie je wiedersehen?
    Die Winterkälte draußen beißt in mein noch wundes Gesicht. Eine Wagentür wird aufgerissen, und ich werde hineingestoßen. Ich versuche, meine Furcht in den Griff zu bekommen, und denke an Mathilda. Doch das Einzige, was mir jetzt einfällt, ist ihre Angst vor den schwarzen Wagen, mit denen wehrlose Menschen abgeholt werden. Jetzt begreife ich.
     
    Das Auto fährt los. Wenn ich doch etwas sehen könnte! Ich versuche, das verdammte Tuch abzureißen.
    »Lass das!«
    Ich gehorche und lausche auf Geräusche. Wohin fährt er mich? Ich versuche, die Fahrgeräusche zu entziffern. Bremst der Wagen? Er fährt lange geradeaus, bremst, biegt links

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