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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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zieht mich ohne ein Wort in die Küche. Sie nimmt ein Geschirrtuch, macht es feucht und tupft vorsichtig mein Gesicht ab. Sie deutet wortlos auf das Waschbecken. Ich lasse das Wasser aus dem Kran laufen und halte meine Hände darunter. Die Kälte weckt mich. Frau Weber kramt in einer Schrankschublade und bringt Verbandsstoff, ein Fläschchen Jod und Pflaster zum Vorschein. Sie schneidet etwas Mull zu, träufelt die braune Tinktur darauf. Sie macht das schnell und geschickt. Ohne ein Wort und ohne mich anzusehen. Sie befestigt das Stück Verband mit dem Pflaster auf meiner Stirn. Es brennt. Ein beißender Geruch schießt mir in die Nase. Meine Augen tränen. Ich sehe aus dem Fenster. Verschwommen wie durch einen Schleier erkenne ich im Garten mein Fahrrad. Er war es also.
     
    Ich starre auf den Fußboden. Die Teppichfransen liegen artig gekämmt auf dem Parkett. Aus der Grünanlage am Servatiiplatz dringen die Stimmen von Jungen zu uns. Sie spielen Ball. Es hallt dumpf.
    »Du hast dein Fahrrad wiedergefunden?« Vaters Stimme klingt ruhig. Der Spott ist nicht zu überhören.
    Ich nicke.
    »Sieh mich an.« Mir bleibt nicht anderes übrig. Ich hebe den Kopf und öffne die Augen.
    »Und?« Vater sitzt am Schreibtisch. Die Uniformjacke ist bis zum letzten Knopf zugeknöpft. Seine Hände liegen auf der grünen Schreibunterlage. Die Tischlampe brennt. Meine Augen suchen das hölzerne Lineal. Es ist nicht da. Vater steht auf und kommt um den Schreibtisch herum. Er hebt mit der Hand mein Kinn und betrachtet das Pflaster über meiner Augenbraue. Die Schnittwunde pocht unter dem Pflaster.
    »Das sieht schlimmer aus, als es ist.« Er gibt mir einen leichten Klaps auf die Wange.
    Ich zucke zurück.
    »Na, na«, sagt Vater mit sanfter Stimme. »Tut mir leid. Mir sind da wohl die Nerven durchgegangen. Es kommt nicht wieder vor.«
    Ich verziehe den Mund zu einem gequälten Lächeln.
    »Nein, nein«, sagt er, ohne den einschmeichelnden Tonfall seiner Stimme auch nur im Geringsten zu ändern. »Dass du mich richtig verstehst: Ich war unbeherrscht. Undiszipliniert. Das ist immer ein Fehler. Aber das bedeutet nicht, dass ich dich nicht mehr schlagen werde. Das liegt ganz bei dir. Steh gerade und sieh mich an.«
    Vater geht zum Schreibtisch zurück, tritt zum Fenster, schließt es und zieht die Vorhänge zu. Die Stimmen im Park verstummen. Das Radio in der Küche spielt Schlagermusik. Die große Uhr über der Tür tickt. Ich halte meine Hände immer noch auf dem Rücken. Meine Fingernägel krallen sich in meine Handballen.
    Bitte, denke ich, bitte mach, dass Mama kommt. Mach, dass es vorbei ist. Vater sitzt aufrecht am Schreibtisch. Jetzt liegt auch das Lineal auf der Schreibunterlage. Der Polizeimajor Laurenz bittet zum Verhör.
    »Lass uns wie Erwachsene miteinander reden.« Vater schiebt seinen Oberkörper gegen die Tischkante und faltet die Hände. »Du antwortest nicht auf die einfachsten Fragen. Das Fragenstellen gehört übrigens zu meiner Arbeit. Du solltest mir antworten. Auf jede Frage, die ich dir stelle, erwarte ich eine Antwort. Keine Lügen, keine Ausflüchte. Für gewöhnlich verschwende ich keine Zeit. Willst du antworten?« Ich schüttele stumm mit zusammengepressten Lippen den Kopf.
    Er runzelt die Stirn, öffnet eine Schreibtischschublade und holt eine graue Kladde hervor. Er schlägt sie auf.
    »Ich werde dir jetzt unsere Dienstanweisung vorlesen. Sie heißt:
Klärung staats- oder reichsfeindlicher Sachverhalte.
Die Maßnahmen bestehen aus einfachster Verpflegung, also Wasser und Brot, hartes Lager, Haft in der Dunkelzelle, Schlafentzug, Verabreichung von Stockhieben. Wobei bei mehr als zwanzig Stockhieben ein Arzt hinzugezogen werden muss.« Er lässt die Kladde zuklappen und fügt hinzu: »Siehst du, es ist alles geregelt. Und es ist meine verdammte Pflicht, Fragen zu stellen.« Die Kladde verschwindet in der Schublade.
    »Aber Papa. Ich bin doch …!«
    Krachend schlägt seine Faust auf den Tisch. Er springt auf, und sein Stuhl fällt um. »Ich habe dir jede Einmischung in meine Arbeit verboten. Ich habe dir den Umgang mit dieser Jüdin verboten. Du hast dich nicht daran gehalten. Aber wir werden das jetzt hier und heute ein für alle Mal klären.«
    Er kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und sagt mit scharfer, schneidender Stimme: »Es geht um mehr in unserem Reich als nur um uns. Und bei unserer großen Sache hat jeder das Seine dazu beizutragen, auch du. Das ist ein Befehl.« Seine Stimme wird

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