Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Die schwarzen Schornsteinklappen sind wie leere Augenhöhlen. Ja, ich bin auf dem Dachboden. Mein Vater hat mich hier hochgeschleppt und auf die nackten Holzdielen geworfen. Meine Hände tasten raue, ungehobelte Bretter. Die Bodenluke ist geschlossen, die Treppe liegt zusammengeschoben neben mir. Ich bin gefangen. Der Wind bläst eisig herein.
Ich versuche, mich aufzurichten. Es geht nicht. Mein Rücken tut höllisch weh, in meinem Kopf pocht und hämmert es, das Blut pulsiert durch die steifen, geschwollenen Beine. Unbeholfen taste ich mein Gesicht ab, ein Auge ist zugeschwollen. Mit den Schmerzen kommt die Erinnerung zurück, und mit der Erinnerung packt mich die grausige Kälte. Wenn jetzt die Bomber kämen? Würden meine Eltern mich holen und in den Keller bringen? Oder hasst Vater mich jetzt so sehr, dass er mich hier oben ließe? Würde Mama etwas unternehmen? Wird Hans nach mir fragen? Was hat mein Vater überhaupt mit mir vor? Meine Augen gewöhnen sich an das Dunkel, aber die Fragen hören nicht auf zu brennen.
Die Giebelwand bildet ein spitzes Dreieck. An ihrem Fuß sind Kisten gestapelt. Koffer liegen in einem Haufen unsortiert übereinander. Mittendrin steht unser altes Wohnzimmersofa. Eine Decke liegt darauf. Daneben steht ein Eimer.
Je Waggon ein Eimer sollte genügen …
Ich richte mich auf und suche in den Kisten nach einer Decke und finde tatsächlich den Überwurf, der in der Sonnenstraße über dem alten Wohnzimmersofa lag. Ich wickele mich darin ein und lehne mich gegen den Kamin. Der Regen lässt nach. Blitz und Donner entfernen sich. Es wird ruhig.
Unter mir höre ich ein Rumoren und Poltern. Es dringt durch die Kaminklappen. Möbel werden verrückt. Gedämpfte Stimmen sprechen. Dann ist es wieder still.
Ich versuche, mich zu orientieren. Unter mir ist mein Zimmer. Ich brauche nicht viel Phantasie, um mir vorzustellen, was dort passiert. Mein Vater stellt es auf den Kopf, er durchwühlt meine Sachen. Mir wird heiß und kalt.
Warum habe ich Mathildas Briefe nicht besser versteckt? Ich hätte sie vernichten sollen. Wenn er sie findet? Er wird sie finden. Soll er doch. Soll er sie lesen. Ich verschränke meine Arme vor der Brust, halte mein Ohr an die Kaminklappe und lausche angestrengt. Mit wem spricht er? Es ist nur ein undeutliches Raunen, ein raues Auflachen. Und dann wird wieder etwas auf den Boden geworfen, ausgekippt. Meine Bücher? Der Inhalt meiner Schubladen? Mir wird langsam klar, dass mein Vater alleine ist. Er spricht mit sich, während er mein Reich zerstört. Ich lausche und bin auf einmal sehr müde.
Knarrend wird die Bodenluke geöffnet, die Treppe hinuntergezogen. Er steigt die Leiter hoch. Unwillkürlich ducke ich mich. Er steht mit dem Rücken zum Licht, das vom Flur durch die Luke auf den Dachboden fällt.
»Paula.« Seine Stimme klingt versöhnlich.
Doch sofort erkenne ich ihn wieder, diesen falschen Ton, der mich überreden, mich auf seine Seite ziehen soll. »Paula, ich will dir noch eine letzte Chance geben, die allerletzte.« Papier knistert in seiner Hand. »Ich habe die Briefe gefunden. Du hattest immer Kontakt zu Mathilda. Ich habe sie gelesen. Das scheint ja alles ganz harmlos. Aber sie ist und bleibt eine Jüdin. Noch kann ich dich schützen. Und das will ich. Nur musst du mir erzählen, was du weißt. Wer hat dir die Briefe gebracht? Wo ist euer geheimer Briefkasten, von dem in den Briefen die Rede ist? Wer hat den Schuberts geholfen, und wo verstecken sie sich?«
Er geht in die Knie und hockt sich zu mir auf den Bretterboden. Seine Hand zupft an der Decke. Ich ziehe meine Beine unter das Kinn und halte meine Füße fest. Er soll mich nicht berühren.
»Paula. Sei nicht dumm, Mädchen. Erzähle mir alles. Dann wird niemand etwas von deinem Verhalten erfahren. Du gehst zur Schule, zum BDM , und alles ist wie früher. Wir sind doch eine Familie. Mama, Hans, du und ich. Denkst du daran überhaupt nicht mehr?«
»Wo ist Mama? Warum kommt sie nicht?«
»Ich habe Mama gebeten, sich rauszuhalten. Das hier geht nur uns beide an. Also, was ist?«
»Und wenn ich nichts erzähle? Wenn ich nichts weiß?«
»Wenn du schweigst, bist du eine Volksverräterin und nicht mehr meine Tochter.«
Er weicht einen kleinen Schritt zurück. Sein Rücken wird straff.
Und wieder diese falsche Stimme. »Je schneller du es dir von der Seele redest, desto besser, glaube deinem Vater.«
Ich schweige und drehe mich weg.
Seine Stimme wird scharf. »Wie du willst. Ich gebe
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