Vaters böser Schatten
warten sollen, bis er auch losgefahren ist. Ich hätte ihn nicht allein lassen dürfen. Wer immer das war, hat ihn eiskalt erwischt.“
„Gestern Abend schon?“
„Ja … er hatte keinen Ausweis dabei. Der war im Auto. Als er gefunden wurde, war er nicht ansprechbar. Vor zwei Stunden erst ist er aufgewacht und seine Eltern wurden informiert. Die haben Sebastian und mich angerufen. Oh Gott …“ Plötzlich lag Daniel weinend in Leons Armen. „Ich bin so wütend …“
Ryan ballte die Fäuste. Da sagte ihm Dr. Ramos immer, wie unsinnig Gewalt war, doch wie sollte man da ruhig bleiben?
Minutenlang tröstete Leon den jungen Mann, dann machte sich Daniel los. „Ich geh wieder zu ihm. Ich will da sein, wenn er aufwacht.“ Er warf den beiden einen kurzen Blick zu, dann betrat er wieder das Zimmer.
Ryan lehnte an der Wand. „Anderson und Shelser?“
Unschlüssig wackelte Leon mit dem Kopf. „Keine Ahnung. Traust du den beiden das zu?“
„Ich weiß nicht. Ein Veilchen hatten sie ihm ja schon verpasst. Wenn sie ihn beim Küssen gesehen haben … keine Ahnung, wie groß die Hemmschwelle der beiden ist.“
Fassungslos rührten sie sich einen Moment lang nicht, als ein großer, brünetter Kerl mit Kaffeebechern auf sie zukam.
„Hey, Ryan und Leon, richtig? Danny hat von euch erzählt.“
„Ja, sind wir. Du bist Sebastian, oder?“
Dieser nickte und öffnete die Tür. „Mum, sie hatten leider keinen Kräutertee. Ich hab dir Pfefferminztee mitgebracht.“
„Danke, mein Lieber.“ Mrs. Murphy saß zusammengesunken im Sessel und musterte die beiden fremden Jungs, die sich umarmten und an der Wand standen. „Sind sie Freunde von meinem Benny?“
Zweifelnd schauten sie sich an.
„Naja, Mitschüler. Aber er war vor ein paar Tagen bei mir im Diner und hat sich da … naja, er hat von Daniel erzählt“, murmelte Ryan. Er konnte den Blick nicht von Ben abwenden, der sich auf die Seite gedreht hatte und scheinbar Daniels Nähe selbst im Schlaf suchte.
„Wer kann das nur getan haben?“, flüsterte Mrs. Murphy.
Weder Ryan noch Leon äußerten ihren Verdacht. Es war zu früh, um etwas zu sagen. Und sie würden, wenn überhaupt, nur mit Daniel und Sebastian darüber sprechen.
Sebastian hatte die beiden beobachtet.
Als Ryan sagte, er bräuchte eine Zigarette, folgten ihm die anderen drei Jungs.
„Okay, spuckt’s aus. Wer war das?“
Leon trat von einem Fuß auf den anderen. „Wir können euch sagen, wer ihm vor einigen Tagen ein Veilchen verpasst hat. Aber das war’s. Es ist nur ein Verdacht“, erklärte Ryan.
„Ist mir offen gestanden scheißegal, ob Verdacht oder Tatsache. Niemand verprügelt meinen kleinen Bruder.“ Sebastian war wild entschlossen, nicht eher aufzugeben, bis er Namen hatte.
Für einen kleinen Augenblick war Ryan versucht, ihm zu sagen, dass Ben nicht der süße, kleine Bruder war, doch er schluckte es hinunter. Warum auch immer wollte er daran glauben, dass Ben sich wegen Daniel wirklich verändert hatte.
„Sebastian, wir können dir Namen sagen, aber wir wissen nicht, ob sie es wirklich waren. Homohasser gibt’s leider überall. Ist nicht so, dass wir noch nie einen dummen Spruch kassiert haben und Daniel mit Sicherheit auch nicht“, versuchte es Leon.
„Hör mal, Kleiner, ist mir alles ziemlich egal. Sag mir die Namen!“ Bens großer Bruder starrte die Jungs an.
„Lasst uns hinfahren, okay? Aber glaube mir, es bringt dir gar nichts, wenn du sie verprügelst. So wütend du auch bist, es macht die Gewalt nun mal nicht legal. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede“, sagte Ryan. „Also schau sie dir an, rede, oder brülle meinetwegen, aber mach dir an ihnen nicht die Finger schmutzig.“
Kurz überlegte Sebastian und warf seinem besten Freund einen knappen Blick zu. „Okay, lasst uns fahren.“
Sebastian schrieb seinen Eltern eine SMS, dann stiegen sie in dessen Auto. Ryan sagte ihm die Adresse von Kyle Shelser.
„Hey, fahr bitte langsamer. Ich möchte nachher zu Ben zurück, okay?“, bat Daniel.
Auch Leon hielt sich am Vordersitz fest, als Sebastian um die Kurve bretterte. Kurz darauf hielten sie mit quietschenden Reifen vor dem Haus der Shelsers.
Nach und nach stiegen sie aus. Sebastian voller Tatendrang, Daniel sichtbar traurig und wütend, Leon und Ryan eher wachsam.
„Warte …“, rief Ryan noch, doch Sebastian hatte für seinen Geschmack viel zu lange gewartet. Er hämmerte gegen die mahagonifarbene Tür.
Nach einem kleinen Augenblick öffnete ein Mann
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