Vaters böser Schatten
treten. Meinen Freunden gegenüber zu treten. Leon zu sehen, hat irrsinnig weh getan. Ich hatte ihm nur wenige Stunden vorher gesagt, dass er mich vergessen soll, und er hat sich so ins Feuer geworfen für mich … Ich kann es nicht erklären, was in mir vorging, aber die Gefühle waren absolut nicht von dieser Welt.“
Stumm hatten die drei Erwachsenen seinen Worten gelauscht. Jeder für sich wusste, dass Ryan in seinem jungen Leben einfach zu viel durchgemacht hatte, als dass er völlig unbeschwert weiterleben könnte.
„Ryan, hast du mal daran gedacht, eine Therapie zu machen?“, fragte seine Tante.
Erschrocken sah er auf. „Was? Ich bin doch nicht bekloppt, oder so!“
Sie konnten sich ein amüsiertes Lachen nicht verkneifen.
„Natürlich bist du nicht bekloppt. Was deine Tante damit sagen will, ist, dass du einfach zu viel durchgemacht hast. Ryan, du bist ein wirklich lieber Kerl. Du hast die richtige Einstellung zu Familie, Freunde und Zukunft, aber du bist auch sehr verschlossen und neigst zu Aggressionen. Du hast nie gelernt, deinen Frust, deine Ängste und Gefühle zu verarbeiten“, erklärte Eileen.
„Mum, dass ich verschlossen bin, hat seine Gründe. Ich mache das nicht, um andere Leute zu ärgern.“
„Und welchen Grund hat es?“
„Nun, ich denke einfach, dass es niemanden etwas angeht, was ich tue. Wenn ich nichts erzähle, kann mir auch keiner in mein Leben reden. Und ich habe dich, Michelle und Leon, oder nicht?“
„Ryan, wir haben nie mit dir darüber gesprochen, weil du einfach schon genug Probleme hast, aber als du damals aus dem Krankenhaus gekommen bist, war dein Leon absolut fertig mit der Welt. Er fühlte sich hilflos und hat selbst gesagt, dass er nicht weiß, wie er dir helfen soll. Und in einem Punkt hatte er recht: Ihr seid alle drei zu jung für diese Art von Problemen. Du solltest dir damals keine Gedanken drum machen und das sollst du heute auch nicht, aber Leon ist nicht der Richtige, um deine Probleme aufzuarbeiten.“
Frustriert stellte Ryan die Tasse auf den Tisch. „Ich habe keine Probleme, okay? Es ist alles in Ordnung!“ Schnell stand er auf und ging ins Haus.
Eileen blieb besorgt zurück. Dass ihr Sohn dringend Hilfe bräuchte, wussten alle. Doch wie sollte man ihm helfen, wenn er es selbst nicht einsah?
Ryan saß auf den Stufen vor dem Haus und schnippte die Asche von seiner Zigarette.
„Schatz?“
„Hey, Mum.“ Er rieb sich das Gesicht und schaute die Straßen hinunter.
„Ryan, du weißt, dass wir so etwas nicht sagen, um dich zu ärgern, nicht wahr?“
„Ja, das ist mir klar. Aber bitte sieh es ein. Mir geht es gut!“, antwortete er verärgert.
„Nein, dir geht es nicht gut. Aber deswegen bin ich jetzt nicht hier!“ Eileen setzte sich neben ihren Sohn. In den Händen hielt sie ein Stück abgerissenes Papier.
„Sondern?“
„Nun, wie du ja schon mitbekommen hast, wurde dir freundlicherweise die Leitung des Hofes vermacht. Ich möchte kurz mit dir darüber reden.“
Ryan nickte und wandte sich zu seiner Mutter um.
„Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir einige Veränderungen vornehmen sollten. In erster Linie weitere Mitarbeiter einstellen, so dass die Jungs nicht mehr zwölf Stunden arbeiten müssen. Und wir sollten so etwas wie einen Schichtdienst einrichten. Ich weiß, dass dir in all den Jahren immer wieder verschiedene Ideen durch den Kopf geschossen sind, und ich möchte dir hiermit einen Einblick auf das Firmenkonto geben, damit du weißt, welche Ideen sich vielleicht verwirklichen lassen und welche nicht.“
Erschrocken starrte er seine Mutter an. „Mum … das … das geht mich doch eigentlich gar nichts an.“
„Bisher war es vielleicht so, doch nun denke ich, dass es wichtig für dich ist.“ Sie gab ihm den zusammengefalteten Zettel.
Unsicher nahm er ihn in die Hand.
„Das ist eine ungefähre Summe. Genauer kann ich es dir erst sagen, wenn ich zu Hause in die Bücher geschaut habe.“
Ryan zögerte noch immer, doch der liebevolle Blick seiner Mutter bestärkte seine Neugier. Er faltete den Zettel auseinander und keuchte laut auf.
„Himmel …“, quiekte er. „Mum! Bist du dir sicher, dass da nicht vielleicht ein oder zwei Nullen zu viel dran sind?“
„Ich bin mir sicher, dass die Summe stimmt“, lächelte sie.
500.000 $
Ryan war wie vom Donner gerührt. Er hätte einiges erwartet, aber das überstieg wirklich alles. „Meine Güte, Mum!“, flüsterte er. „Das ist unglaublich. Ach sag mal, kann ich
Weitere Kostenlose Bücher