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Vaters böser Schatten

Vaters böser Schatten

Titel: Vaters böser Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Dankert
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und schluckte hart. Was, zum Geier, tat er hier eigentlich? Sein Blick glitt durch den kleinen, hell beleuchteten Flur, über ein Wartezimmer, welches mit gemütlichen Ledersofas und Sesseln bestückt war. Es wirkte wie ein heimisches Wohnzimmer mit all den Grünpflanzen.
    „Kann ich Ihnen helfen?“
    Ryan wandte sich an einen kleinen Tresen. „Ähm … ich … ich weiß nicht. Ich bin Ryan McCoy. Ich habe einen Termin.“
    Die junge Frau blätterte in einem Kalender. „Ja, selbstverständlich. Dr. Ramos ist gleich für Sie da. Setzen Sie sich noch einen Moment. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee? Wasser?“
    „Oh … nein, danke. Ich … setz mich.“ Ryan wandte sich ab, fragte sich zum wiederholten Male, was er hier eigentlich machte und ließ sich auf ein Sofa sinken.
    Er hatte lange mit sich gekämpft. Nach ihrem Ausflug nach Miami war das Thema mit niemandem mehr zur Sprache gekommen und doch hatte es ihm keine Ruhe gelassen. Fünf Wochen waren vergangen, seine Mutter war gut erholt zurück, Leon und er waren glücklich und auf der Farm lief alles gut. Zeit, einen Schritt weiter zu gehen. Zumindest redete er sich das ein. Er war immer noch der festen Überzeugung, keinen Therapeuten zu brauchen.
    Vielleicht war das einer der Gründe, warum er nicht in Mountain Creek saß, sondern im zehn Kilometer entfernten Louise River, einer Kleinstadt, die etwas größer als Mountain Creek war, wo er allerdings niemanden kannte; wo ihn niemand kannte.
    Taylor hatte ihm die Adresse rausgesucht. Er war auch der einzige, der wusste, dass Ryan überhaupt hier war. Leon hatte er gesagt, dass er zu einem Futterhändler fahren wollte.
    Und nun saß er hier, gefühlte Meilen weit weg von zu Hause, von seiner Welt, zweifelhaft bereit, sich seiner Vergangenheit zu stellen.
    „Mr. McCoy?“
    Ryan sah auf, in das freundliche Gesicht der jungen Frau.
    „Dr. Ramos erwartet Sie.“
    Langsam stand er auf, zog beim Gehen seine Lederjacke aus, legte sie sich locker über den Arm und betrat den Behandlungsraum.
    „Mr. McCoy, freut mich, Sie kennen zu lernen. Ich bin Frederick Ramos.“ Der Mann mit dem schütteren, weißen Haar, der runden Brille und der untersetzten Figur trat auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen.
    „Ryan … das langt vollkommen.“ Ryan schüttelte die dargebotene Hand, schaute sich um. „Warum wird man Therapeut? Psychoklempner?“, fragte er leise.
    „Um den Menschen zu helfen … das ist wohl die Standardantwort, die alle erwarten. Aber ich konnte schon immer gut zuhören. Für mich gab es nie eine andere Wahl. Setzen Sie sich.“ Er deutete auf ein weinrotes Sofa und nahm selbst in einem gleichfarbigen Ohrensessel Platz.
    Ryan setzte sich, legte seine Jacke neben sich, musterte den Mann vor sich, als erwartete er prompte Heilung mittels Handauflegen.
    „Warum sind Sie hier?“
    Unschlüssig die Schultern zuckend, murmelte Ryan: „Ich weiß nicht. Hielten alle für eine gute Idee.“
    „Wen genau meinen Sie?“
    „Meine Mum … mein Freund, dessen Eltern vermutlich auch. Meine Tante, mein Onkel … alle eben.“
    Dr. Ramos beobachtete ihn schweigend.
    „Sie denken, ich hätte meine Gefühle nicht im Griff, meine … Aggression, was kompletter Unsinn ist. Sagen Sie mir, warum ich hier bin?“ Herausfordernd musterte Ryan ihn.
    Dr. Ramos lachte leise. „Das werden wir herausfinden. Erzählen Sie mir etwas von sich.“
    Kurz holte Ryan tief Luft, hob zweifelnd die Augenbrauen. Okay, nun war er an einem Punkt, wo er eigentlich schon wieder gehen wollte. Nach nur zehn Minuten. „Ich bin siebzehn Jahre alt, lebe auf einer Tierfarm, habe eine Mutter, die ich sehr liebe, einen Freund, den ich noch mehr liebe … ich bin schwul. Ich habe eine wirklich gute Freundin … nette … nennen wir sie mal Schwiegereltern, ich bin ein guter Schüler, habe Freunde, einen Hund … alles gut.“
    „Sie haben ihren Vater nicht erwähnt“, stellte Dr. Ramos fest.
    „Ja, weil der nichts zur Sache tut. Der existiert für mich nicht mehr.“
    „Ist er gestorben?“
    „Nein … wobei ... ja, irgendwo schon. Für mich zumindest.“ Ryan schloss die Augen, haderte mit sich. „Müssen wir über ihn reden?“
    „Müssen wir nicht. Erzählen sie von ihrem Freund.“
    Auf Ryans Lippen schlich sich ein Lächeln. „Er ist süß und lieb. Er ist mein Leben …“
    „Wie lange sind sie schon zusammen?“
    Ryan überlegte kurz. „Offiziell seit knapp zwei Monaten. Aber … lieben tu ich ihn schon … seit letztem Herbst.

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