Vaters böser Schatten
Es war … eine wilde Zeit, irgendwie.“ Ryan schwieg, wartete vermutlich auf weitere Fragen von Dr. Ramos, doch der sah ihn nur abwartend an. „Er hat lange gebraucht, um zu seinen Gefühlen zu stehen. Um zu akzeptieren, dass ich der Richtige für ihn bin. Man verliebt sich nicht einfach in den besten Freund. Allerdings denke ich, dass ich immer mehr für ihn war, als der beste Freund. Leon hat es sich nur eingeredet. Er hatte einfach Angst.“
Ryan beugte sich vor, stützte seine Arme auf den Oberschenkeln ab. „Zwischen uns hat es von der ersten Sekunde an geknistert. Ich habe in seine blauen Augen gesehen und wusste, dass ich … nie wieder etwas anderes sehen wollte. Er hat alles verändert“, murmelte er.
„Inwiefern hat er alles verändert, Ryan?“
„Ich weiß nicht … ich habe immer in der Überzeugung gelebt, dass ich mehr als meine Mum und Michelle nicht brauchen würde. Ich hatte ein geregeltes Leben und plötzlich taucht er auf und bringt alles durcheinander. Ich habe …“ Ryan sah auf, lächelte, „von einer Sekunde zur anderen plötzlich angefangen zu leben. Das war ein regelrechter Schock. Die ersten Monate waren ein reines Gefühlsauf- und ab. Zu sehen, wie er dagegen gekämpft hat, tat richtig weh.“
„Und Sie? Wann wurde Ihnen klar, dass Sie homosexuell sind?“
Ryan überlegte. „Als ich mir eingestand, dass ich in ihn verliebt bin. Andererseits denke ich, dass ich es schon immer war. Im Nachhinein betrachtet waren die ganzen Dates mit den Mädchen nur eine Farce … den Schein zu waren. Ich bin jung, also muss ich auch Dates haben. Sie haben mir nie viel gegeben.“ Leise lachte er. „Ich habe sie geküsst, mit ihnen geschlafen und doch war ich nie wirklich bei der Sache. Ich meine, hätte mir das nicht schon eher zu denken geben sollen? Ich hab sie gevögelt und doch war ich nie wirklich zufrieden. Es hat mir absolut nichts gegeben.“ Kopfschüttelnd lehnte er sich wieder an, ließ den Blick schweifen. „Als Leon mich das erste Mal geküsst hat … Himmel, es ist etwas in mir explodiert. Es war … gigantisch.“
„Was hat Ihre Mutter dazu gesagt?“
Ryan sah den Arzt an. „Sie hat immer hinter mir gestanden. Sie hat es gewusst. Sie hat uns das erste Mal zusammen gesehen und gespürt, dass da mehr ist, noch lange, bevor ich es überhaupt wahrgenommen habe. Im Nachhinein betrauert sie nur die guten Gene, die brach liegen. Aber sie liebt ihn. Sehr sogar. Sie will, dass ich glücklich bin, und das bin ich auch. Leon macht mich glücklich.“
Dr. Ramos lächelte, machte sich auf einem kleinen Block Notizen, sah Ryan schweigend an.
Selten kam sich Ryan so nackt vor. Was erwartete der Mann von ihm? Er starrte ihn an und Ryan wand sich unter dem Blick. Immer wieder rieb er seine Handflächen an der Jeans. „Meine Freunde haben uns auch nie im Weg gestanden. Vermutlich wussten sie es schon, bevor wir es wussten. Maggie und Taylor, Leons Eltern, hatten es auch schon vorher gewusst.“ Er runzelte die Stirn. „Man ist manchmal ganz schön blind.“
„Nicht blind, Ryan. Man sieht die Dinge oft nur anders. Man betrachtet sie nicht objektiv, weil die eigenen Gefühle einen daran hindern.“
„Ja … vermutlich haben Sie recht.“
„Ryan, Sie sagten, dass Ihr Umfeld der Meinung sei, Sie hätten Ihre Aggressionen nicht im Griff. Können Sie mir erzählen, in welchen Situationen das so ist?“
Ryan kratzte sich im Nacken, schwieg erstmal. Was sollte er groß sagen? „Andy, das ist Leons kleiner Bruder, hatte letztes Jahr große Schwierigkeiten mit mir. Er war der Meinung, dass ich ihm Leon wegnehmen würde. Er hat sich daran hochgezogen, was in der Schule über mich gesprochen wurde. Ich sei ein Streber, ein Einzelgänger … gewalttätig und aggressiv. Ich bin impulsiv, das weiß ich. Es gibt einige Jungs in meiner Schule, mit denen komme ich nicht so ganz klar. Ich bin eben der Freak. Und nun auch noch schwul. Das ist ein guter Aufhänger für sie. Andy hat mir vorgeworfen, ich sei ein brutaler Schläger, weil ich mich in der Schule ein paar Mal geprügelt habe.“
„In welchen Situationen haben Sie sich geprügelt?“
„Puh ... ich weiß nicht mehr. Es ist … schon eine Weile her. Michelle, meine beste Freundin, hat es manchmal nicht leicht. Ihre Mutter ist … sagen wir mal anders als andere Mütter. Nicht spießig oder so. Sie lebt im Grunde das Leben ihrer Tochter. Verstehen Sie mich nicht falsch, Susan ist eine wunderbare Mutter. Sie tut alles für ihre Töchter,
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