Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
anderen blitzschnell nach seinem Nacken. Dann biss ich zu. Menschenblut sprudelte – ich erlebte es wie im Rausch. Wie hatte ich mich jahrelang mit Tierblut zufriedengeben können? Das hier war Blut für einen Vampyr. Ich spürte, wie mir Kräfte wuchsen, von deren Existenz ich bisher noch nicht mal den Schimmer einer Ahnung gehabt hatte. Ich ließ den Mann fallen und brach ihm, mit dem Instinkt eines Tieres, den Nacken. Alles, was ich unter Theresas Führung gelernt und geschworen hatte, war vergessen. Ich versteckte den Mann unter einem Bündel Stroh und wandte mich zum Haus. Ich brauchte Kleidung.
Drinnen war es dunkel, die Tür stand offen. Ich schlich hinein und sah mich um. Seit ich das Menschenblut getrunken hatte, waren meine Sinne geschärft. Ich sah so gut wie noch nie und hörte die regelmäßige Atmung eines Menschen, als ob er neben mir stünde. Wieder überkam mich der rasende Wunsch, meine Zähne in das Fleisch des Schlafenden zu schlagen. Mein Blick wanderte durch den Raum, um ihn auszumachen, und blieb an einem Kruzifix hängen. Ich wich zurück und verließ fluchtartig das Haus Richtung Brunnen. Ich musste planen.
Eine weitere Nacht voller Albträume gab mir die Gewissheit, dass Lisette in Gefahr war.
Ich beschloss, mir in Alba den Habit einer Ordensschwester zu stehlen, da ich in solcher Kleidung auf Reisen weniger auffiel. Außerdem konnte ich auf diese Weise in den Klöstern unterkommen und die Tage verbringen. Kurz bereute ich, was vorgefallen war und versuchte zu beten, doch es gelang mir nicht.
Auf Albas Friedhof hätte mich der Anblick der vielen Kreuze fast getötet. Traurig, weil ich meiner besten Freundin nicht Lebewohl sagen konnte, machte ich mich auf den Weg nach Logorño.
Wie ich gehofft hatte, nahmen mich die Klöster am Wegesrand auf. Ich gab vor, Trappistin zu sein und das Gelöbnis abgelegt zu haben, nie die Sonne zu schauen. Mir wurde geglaubt und ich wurde nicht weiter gefragt. Ich träumte ständig von Lisette, ihre Hilferufe wurden verzweifelter. Ich beschloss, dass ich ein Pferd brauchte.
In der nächsten Nacht kam mir ein betrunkener Reiter entgegen. Zunächst hatte ich nur vorgehabt, ihm das Pferd zu rauben, doch seine Gegenwehr brachte ihm den Tod. Ich biss ihn in seinen ekligen, schmutzigen Hals, den ich ihm danach brach. Ich hatte keinerlei Gewissensbisse. Es sah aus, als wäre er vom Pferd gefallen.
Zunächst machte mir das Pferd Probleme. Es schien meine Andersartigkeit zu fürchten und scheute vor mir zurück. Ich wurde ärgerlich und befahl ihm, stehen zu bleiben. Es war erstaunlich. Das Tier hatte immer noch Angst, doch es verhielt sich ruhig. Konnte es mich verstehen? Ich befahl ihm umzudrehen und es reagierte. Dank dieses Pferdes war ich schnell.
Dennoch befiel mich die Angst, ich würde zu spät kommen. Zuletzt sah ich Lisette, wie sie stumm aus dem Fenster blickte und weinte.
Ich raste durch die Nächte und wollte mich von nichts aufhalten lassen. Aber Gott hielt mich auf. In einem Kloster – ich war mit Theresa oft da gewesen – kam ich mit der Priorin ins Gespräch. Nachdem sie mich gefragt hatte, ob ich mit ihr sprechen dürfe, fragte sie mich, ob ich von Theresa von Avila gehört hätte. Ich bejahte. Ich erklärte ihr, dass es mir mein Gelübde verbot, am Tag zu sprechen, die Sonne zu sehen und die Gebete mit anderen zu verrichten.
»Ich kannte schon mal eine Schwester, die die gleichen Gelübde ausgesprochen hatte.« Die Priorin lächelte mich kurzsichtig an. »Zufälligerweise war genau diese mit Theresa von Avila auf Reisen. Ich freue mich, dass ich Euch getroffen habe. Es gibt mir die Erinnerung an diese für mich wichtige Zeit wieder.« Sie betrachtete mich, wie ich vor ihr stand. Ich wusste, ich musste vorsichtig sein, und doch war dies eine Möglichkeit endlich zu erfahren, wie lange ich im Brunnen gewesen war.
»Wie lange ist Theresa von Avila schon tot?«, fragte ich die alte Nonne.
»Es werden fünfzehn Jahre, seit sie starb.«
»Fünfzehn Jahre?« Ich konnte es nicht glauben. Hätten mich meine Träume nicht geweckt, ich schliefe noch heute.
»Ja, die Zeit vergeht. Ich weiß noch, ich war eine ganz junge Novizin, als ich den Schleier nahm. Theresa war an dem Tag zugegen. Ihr habe ich mein Tun und Wirken gewidmet. Sie sagte mir, dass es keine zu schwere Last gibt, sondern nur einen zu schwachen Rücken.« Die alte Nonne blinzelte mir zu.
»Ja, ich kann mich erinnern.«
»Kind, dafür seid Ihr viel zu jung.« Gutmütig klopfte
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