Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
schwer, ich schüttelte den Kopf, um ihr zu bedeuten, zu schweigen, doch sie setzte sich im Bett auf.
»Ich weiß nicht, wie es die anderen deiner Spezies machen, aber wir müssen uns etwas einfallen lassen.«
»Die anderen?«
»Die anderen. Glaubst du, dass du der einzige Vampyr auf Gottes Erde bist?«
Ich hatte noch nie über andere nachgedacht und war perplex.
»Einerseits bin froh, dass sie dich nie aufgesucht haben«, sagte sie hustend, »aber so manches wäre vielleicht einfacher gewesen. So kannst du nicht weiterleben. Jetzt bist du vierzig und es ist noch natürlich, dass du auf Erden weilst. Aber was ist in fünfzig Jahren? In hundert?«
Ich nickte, ich begriff.
»Wenn ich nicht mehr bin, Lucienne, dann musst du handeln. Vikar Alvarez wartete nur darauf, dich vor das Inquisitionsgericht zu bringen. Sie werden dich hinrichten, daran zweifele ich nicht. Wenn ich tot bin, musst du verschwinden.« Theresa ließ sich erschöpft aufs Kissen sinken und schloss die Augen.
Ich erkannte, als ich in ihr blasses Gesicht blickte, dass sie nicht mehr lange leben würde. »Ich habe dir so viel zu verdanken, Theresa, noch jetzt machst du dir Gedanken über dein eigenes Leben hinaus. Du solltest dich jetzt nur um dich sorgen.«
»Das tut Gott.« Theresa öffnete ihre Augen. Ihr Blick war fest, wie ich ihn kennengelernt hatte. Sollte ich mich getäuscht haben? War sie gar nicht so krank und schwach, wie ich noch vor wenigen Augenblicken angenommen hatte?
»Du musst verschwinden. Am besten noch heute Nacht. Ich habe bereits Vorsorge getroffen. Wenn ich gleich hinübergehe zu meinem Herrn«, sie sagte dies mit den strahlenden Augen einer Braut, die an den Altar tritt, »dann packe dein Bündel und wende dich südwärts. Geh immer am Fluss entlang.«
Theresa wurde von einem erneuten Husten erschüttert. Sie zeigte auf ein Bündel Briefe. Ich holte sie ihr.
»Ich habe dir alles aufgeschrieben. Meinen Plan.« Sie lächelte mich an.
Wie viele Pläne hatten wir in unserem gemeinsamen Leben geschmiedet? Wie viele Geschichten erfunden, um mein Dasein zu schützen? Und sie hatte schon wieder geplant. Gerührt nahm ich die Briefe entgegen. Ich hatte längst zu Gott gefunden, aber hätte ich es noch nicht, dann wäre dies der Zeitpunkt gewesen. Wie sollte es keinen Gott geben, wenn es Menschen wie diese Frau gab? Die sich selbst zurücknahmen, die auf ihre Umgebung hörten, die auf Gott hörten. Die nur für die anderen lebten, ohne Grimm und Selbstaufgabe, sondern mit Freude und Lust am Leben.
Ich küsste ihre Hand. »Ich danke dir für alles.«
»Du brauchst mir nicht danken, Lucienne. Danke Gott, wie ich. Ich danke ihm, dass er dich zu mir gebracht hat. Dass er mir zeigte, dass es ihm sogar möglich ist, einen Vampyr auf seiner Seite zu haben. Du warst mir immer eine große Hilfe, Lucienne. Und eine treue Freundin.«
Theresa schloss die Augen. Sie schwieg und ich wusste, sie hielt nun Zwiegespräche mit ihrem Herrn. Ich hielt ihre Hand und betete für sie. In der anderen Hand hielt ich ihre Briefe. Noch einmal drückte ich ihre Hand und betrachtete ihr friedliches Antlitz. Sie war eine wunderbare Frau. Sie hatte sechzehn Klöster gegründet, mit ihrem Freund, den ich nie kennengelernt hatte, insgesamt zweiunddreißig. Sie hatte mehrere Bücher verfasst. Sie konnte mit ihrem Leben zufrieden sein. Sie hatte der Nachwelt etwas hinterlassen. Sie hatte der Nachwelt auch mich hinterlassen. Ich küsste ihr zum Abschied die Hand und verließ leise die Zelle.
In der nächsten Nacht war die Klosterkirche voller Menschen. Sie beteten für die Priorin Theresa de Jesus, Theresa von Avila. Ich musste schnellstmöglich zusammenpacken. Ich nahm meine weltlichen Kleider, die Vorhänge und Bücher, meine beiden Ringe, die ich von meiner Mutter geerbt hatte – von der Person, von der ich angenommen hatte, dass sie meine Mutter war. Bei diesem Gedanken ließ ich mich auf den Schemel fallen. Der Wächter meiner Erinnerungen trat zurück und ich sah meine Mutter, Louis und Lisette. Ich dachte an Schwester Theresa, wie ich sie kennen- und lieben gelernt hatte, an Salvador und der Schmerz übermannte mich. Alle tot. Alle, bis auf Lisette, die nicht mit mir sprach. Ich wusste, dass sie zwei Söhne und eine Tochter zur Welt gebracht hatte, und konnte ihre Unversöhnlichkeit nicht verstehen.
Ich muss das alles vergessen , rief ich mich zur Ordnung. Menschen waren sterblich, ich war es nicht. Ich durfte mich nicht an Menschen hängen,
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