Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
wenn ich nicht wollte, dass sie mir eines Tages das Herz brächen. Mein Blick fiel auf Schwester Theresas Brief, von dem ich mir Trost erhoffte.
Liebste Lucienne,
und nun mein allerletzter Plan: Schreib einen Abschiedsbrief, in dem du mitteilst, du hättest das Kloster verlassen, um das Leben eines Eremiten zu führen.
Alvarez wird das nicht glauben. Er wird dich suchen lassen. Darum musst du es so aussehen lassen, als ob du des Nachts im Gebirge abgestürzt seist.
Packe zwei Bündel. Eins mit Sachen, die du behalten willst, das andere mit unwichtigeren. Aber packe schlau, damit Alvarez darauf hereinfällt. Dann nimm den Weg, den ich dir aufgemalt habe. Ich habe eine Stelle markiert, an der schon viele den Tod gefunden haben, aber noch nie jemand geborgen werden konnte. Dort lässt du das entbehrliche Bündel und brichst ein paar Zweige ab, als hättest du versucht, dich zu halten. Beeil dich. Ich bin den Weg oft gegangen, wenn du ihn zügig gehst, kannst du es vor Sonnenaufgang schaffen. Ich habe dir einen verlassenen Brunnen aufgemalt, dort steigst du hinein und wartest. Ich weiß nicht, wie Vampyre es machen, doch ich habe gelesen, dass sie jahrelang in eine Art Schlaf fallen können. Probiere es. Du musst für ein paar Jahre verschwinden, dann steht es dir frei, hinzugehen, wohin du magst. Man wird dich vergessen haben.
Denke immer daran, nicht aufzufallen, und halte dein Versprechen, niemandem ein Leid anzutun.
Es umarmt dich voller Liebe
Theresa
Theresas Brief war ein Befehl. Ich schrieb ein paar Zeilen an meine Mitschwestern, packte zwei Bündel, schlich durch die Klosterpforte und rannte den Fluss entlang durch die Nacht. Ambivalente Gefühle überkamen mich. Ich genoss die Nachtluft und meine neue Freiheit. Auf der anderen Seite fürchtete ich mich. An wen sollte ich mich wenden? Gab es andere Vampyre und wenn, wo waren sie? Bisher hatten mich die Klostermauern und Theresa geschützt, wer würde mich ab heute schützen?
Es war nicht schwierig, dem Weg zu folgen, den Schwester Theresa beschrieben hatte. Es war der einzige, der dem kleinen Fluss folgte. Schmal und felsig führte er mich auf die Stelle zu, an der bereits Menschen den Tod gefunden hatten. Ich hastete um einen schmalen Felsvorsprung und wäre fast wirklich abgestürzt, da ich mich mit einem Kreuz konfrontiert sah. Zwangsläufig schloss ich die Augen und trat ins Leere. Ich konnte mich gerade noch an einem Ginsterbusch festhalten. Hätte ich nicht meine übernatürlichen Kräfte besessen, wäre es mir nicht gelungen, mich aus dieser heiklen Situation zu befreien. Wenige Fuß unter mir sah ich den Abgrund. Mit aller Kraft zog ich mich hoch und blieb erschrocken sitzen. Ich sah mich um. Ich hatte sehr realistische Spuren hinterlassen.
Ich warf das Bündel, von dem ich mich trennen wollte, in den Busch, an den ich mich zuvor geklammert hatte. Man konnte es vom Weg aus sehen. Es enthielt ein paar persönliche Briefe, an denen man erkannte, dass es mein Bündel war, die beiden Ringe meiner Ziehmutter und Wechselwäsche. Ich hoffte, dass dieser Inhalt den Vikar überzeugen würde. Den Blick gesenkt, passierte ich das Kreuz, in dessen Sockel die Namen der Abgestürzten eingemeißelt waren. Vielleicht würde bald auch mein Name dort stehen.
Ich rannte weiter und erreichte den aufgezeichneten Brunnen. Er hob sich dunkel vor dem herannahenden Sonnenaufgang ab. Ich trat näher und bemerkte, dass sein kleines Dach in gutem Zustand war. Schwester Theresas Idee war famos. Kein Mensch würde annehmen, dass gerade ich nach meinem traumatischen Erlebnis auf der Flucht, freiwillig in einen Brunnen stieg. Ich zögerte. Dann überprüfte das Seil und ließ mich langsam hinunter. Der Brunnen war trocken und bis auf ein paar vertrocknete Blätter am Boden sauber. Ich beruhigte meine aufsteigende Panik mit den Gedanken, dass ich nur die erste Zeit hier bleiben müsste und dies auch nur tagsüber, als mein Fuß gegen einen Gegenstand stieß. Es war ein Brief; er war in Leder eingeschlagen, um ihn vor eventueller Feuchtigkeit zu schützen. Ich ertastete das Siegel, es war Schwester Theresas.
Lucienne,
Ich habe diesen Brunnen schon vor Jahren gefunden und immer gedacht, dass er dir eines Tages als Zuflucht dienen könnte. Ich kann mir vorstellen, wie es in deinem Kopf arbeitet. Aber glaube mir, es ist wichtig, dass dich niemand in den nächsten Jahren zu Gesicht bekommt!
Versenke dich, bete, meditiere. Du musst einschlafen, tief
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