Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
seinen Stiefeln. »Ich bin nachlässig mit Ihnen gewesen, dafür möchte ich mich entschuldigen.«
Ich verstand ihn nicht.
»Ich hätte Euch früher unterweisen müssen«, sagte er erklärend. »Allerdings sah ich keinen Bedarf. Ihr hattet in Schwester Theresa eine bessere Lehrerin.«
Ich war erstaunt. Woher wusste er von Schwester Theresa?
»Ich habe Euch all die Jahre beobachtet, Lucienne. Ich bin für Euch verantwortlich, wie es jeder Vampyr ist, der einen Menschen infiziert.«
Ich hielt die Luft an.
Mac Quiet machte eine fahrige Bewegung. »Lucienne, es gibt wirklich viel zu bereden. Ich weiß im Moment selbst nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht habt Ihr Fragen?«
Ich stieß die Luft aus. Wo sollte ich anfangen? Tausend Fragen schwirrten in meinem Kopf. Ich wollte so schnell wie möglich zu meiner Schwester, und nicht hier sitzen und mich mit diesem Mann unterhalten. Dem Mann, der zugab, mich infiziert zu haben. Ich wollte Lisette sprechen. Auch wenn sie nicht meine leibliche Schwester war, war sie doch der einzige Mensch, der mir blieb.
Mac Quiet schenkte mir ein trauriges Lächeln. »Ihr habt noch ein Familienmitglied, das Euch sehen möchte.«
Konnte er meine Gedanken erraten?
Mac Quiet nickte. »Ja, Lucienne, ich kann in Euren Gedanken lesen wie in einem Buch. Darum ist es so wichtig, dass ich Euch zunächst mit den Regeln vertraut mache, bevor Ihr auf die anderen trefft.«
Was Argyle Mac Quiet mir eben mitgeteilt hatte, war so ungeheuerlich und unglaublich, dass ich den Kopf schüttelte und mich erhob. Doch er belehrte mich eines Besseren und ließ sich nicht beirren.
»Zunächst einmal: Das Dienstpersonal spricht nie mit seiner normalen Stimme.«
Ich starrte ihn an und plumpste zurück auf den Sessel. Jetzt hatte er meine Aufmerksamkeit.
»Sie sind von niedrigem Rang und es steht ihnen nicht zu, die Stimme zu erheben. Die normale Stimme ist nur unter den Gehobenen erlaubt. Wartet.«
Ich wollte gerade fragen, worauf ich warten solle, als er in meinen Gedanken weitersprach.
»Ihr, in Eurem Rang könnt sprechen, wie Ihr möchtet.«
»In meinem Rang?«
»Versucht, Eure innere Stimme zu benutzen. Es ist ganz einfach. Ihr müsst Euch die Antwort denken.«
»So?« Ich formulierte nun in Gedanken.
Mac Quiet nickte.
»Dann kann jeder meine Gedanken lesen?« Eine grauenhafte Vorstellung. Ich überlegte mir, was ich alles zuletzt gedacht hatte und errötete. »Alle?«
»Nicht unbedingt«, sagte Mac Quiet. »Darum ist es so wichtig, dass ich Euch beibringe, wie Ihr das vermeiden könnt. Ich werde Euch gleich in meinen Raum einladen. Dann können wir uns unterhalten, ohne dass jemand anderer uns zuhören kann.«
Ich erwartete, dass er aufstand, doch er blieb sitzen und sah mir in die Augen. »Antwortet mir nun nur noch in Gedanken, Lucienne, und haltet den Blickkontakt. Habt Ihr das verstanden?«
»Ja.«
»Gut. Nun hört zu: Wir werden gleich zu den anderen stoßen und es mag sein, dass das, was Ihr dort erlebt, nicht Eure Zustimmung erhält. Ich möchte Euch bitten, aufzupassen, was Ihr denkt. Wenn Ihr Eure Gedanken nicht bei Euch behalten könnt, dann stellt Euch einen dunklen Raum vor. Betretet ihn und schließt die Tür hinter Euch. Das müsst Ihr Euch genauso vorstellen. Die Gedanken, die Ihr dann hegt, bleiben auf diese Weise verborgen. Tut es nicht zu oft, da Ihr sonst Misstrauen erweckt. Verlasst hin und wieder Euren Raum und denkt irgendetwas Triviales.«
»Woran erkenne ich, wer mit mir gesprochen hat, wenn in Gedanken gesprochen wird?« Diese Frage beschäftigte mich, seit ich mit Nicola und Babette zu tun gehabt hatte.
»Derjenige, der in Gedanken spricht, hält seine linke Hand an die rechte Seite. Ich weiß, das ist viel auf einmal, aber ich mache mir keine Sorgen, dass Ihr es bald lernt.«
Da war ich mir nicht sicher. Mir fiel schon schwer, daran zu glauben. Andererseits beantwortete er meine Gedanken und ich hörte seine. Ich musste ihm wohl glauben. Noch etwas fiel mir ein.
»Ihr sagtet, mich würde noch jemand anderes als meine Schwester erwarten. Wer ist es?«
Argyle Mac Quiet holte Luft und sprach in seiner normalen Stimme. »Euer Sohn, Lucienne. Euer Sohn Miguel.«
»Mein Sohn?« Es war ein freudiger Schrecken, der mich durchfuhr. Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln. Natürlich war er am Leben. Er war siebenunddreißig Jahre alt. Wie würde er aussehen? Ich hatte immer Salvador gesehen, wenn ich an meinen Sohn dachte.
»Miguel? Ich hätte ihn nach seinem
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