Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
mir die Alte auf meinen Oberarm und ließ mich allein. »Der Herr sei mit dir auf allen deinen Wegen.«
Ich hätte abreisen müssen, doch ich konnte nicht.
Dieser eine Satz hatte mir Theresa zurückgebracht, als ob sie neben mir stünde. Ich schämte mich meiner Verfehlungen. Wie enttäuscht wäre sie von meinem Handeln! Wie traurig. Kaum hatte sie mich allein gelassen, hatte ich mein Versprechen gebrochen und zwei Menschen getötet. In dieser Nacht blieb ich allein und betete. Ich bat Gott um Verzeihung, unterhielt mich in Gedanken mit Schwester Theresa und erneuerte mein Versprechen. Nie wieder würde ich einen Menschen töten. Ich würde nur Tierblut zu mir nehmen und davon so wenig, wie eben möglich. Ich blieb zwei Tage und Nächte, in denen ich betete und um Verzeihung und Vergebung bat.
Erst in der dritten Nacht brach ich auf. Ich rief mein Pferd und trieb es zu Höchstleistungen an. Abermals hatte ich von Lisette geträumt. Diesmal kniete sie über drei regungslosen Personen und schluchzte. Kam ich zu spät? Hatte mein Aufenthalt im Kloster weitere Menschenleben gekostet? Ich konnte sie auch diesen Abend nicht erreichen. Die Nacht war bereits zu weit vorangeschritten.
Ich musste mich noch einen weiteren Tag im Kloster verbergen, damit ich zum Einbruch der nächsten Nacht am Gut eintreffen würde. Gerade hatte ich mein Pferd weggeschickt und wartete vor der Klosterpforte, weil ich die Schwestern nicht bei der Prim, bei ihrem Morgengebet, stören wollte, als ein Herr auf mich zutrat. Er trug einen eleganten, langen Reisemantel und einen Hut, der sein Gesicht verbarg. Allerdings war ich mir sicher, ihn zu kennen.
»Lucienne.« Der Mann lüftete seinen Hut und verbeugte sich. Mein Gefühl hatte mich nicht genarrt. Ich kannte ihn.
»Mac Quiet. Der Schotte mit dem Eichhörnchen«, rief ich aus und musste mich an der Klosterpforte festhalten. Tausend Fragen wirbelten durch meinen Kopf. Woher wusste er, dass ich hier war? Was wollte er von mir? Ich betrachtete ihn genauer. Seine Züge waren faltenlos, seine Haltung gerade und vital, seine Augen sprühten. Ein anderer, abwegiger Gedanke kam mir in den Sinn. War er derjenige, der an meinem jetzigen Zustand schuld war? Meine Verwirrung war anscheinend offensichtlich, denn Argyle Mac Quiet bot mir seinen Arm und zog mich von der Pforte weg.
»Ja.« Er nickte und sah Richtung Osten. »Ich erkläre Euch alles später. Jetzt sollten wir uns beeilen, wenn wir es noch vor Sonnenaufgang nach Dos Campanilles schaffen wollen.«
Im nächsten Augenblick kam mein Pferd gelaufen, als ob ich es gerufen hätte, und Mac Quiet sattelte es mit schnellen, sicheren Bewegungen. »Eine praktische Fähigkeit. Wir alle können mit Tieren kommunizieren«, sagte er nebenbei als Erklärung. Ich verharrte, wo er mich stehen gelassen hatte, und starrte ihn an. Er war derjenige , schoss es mir durch den Sinn. Er war derjenige, der mich zum Vampyr gemacht hatte!
Er half mir auf mein Pferd und schwang sich ebenfalls auf seins, das die ganze Zeit unbeweglich neben ihm gestanden hatte. Mein Pferd folgte seinem, ich wäre gar nicht fähig gewesen, es zu lenken. Die ganze Zeit über, während ich auf Mac Quiets Rücken starrte, hämmerte nur ein Gedanke in meinem Kopf: Er war an allem schuld!
Ein Diener, den ich noch nie gesehen hatte, öffnete uns die Tore zu Lisettes Hof. Wie hätte ich ihn auch kennen sollen, ich hatte die letzten siebenunddreißig Jahre keinen Kontakt zu Lisette.
»Der Einfachheit halber lade ich Euch in meine Gemächer«, sagte Mac Quiet. Ohne Einwände von meiner Seite abzuwarten, öffnete er eine Tür, die ich noch nicht bemerkt hatte. Sie führte in die Keller des Anwesens.
Fackeln erhellten die grob geschlagenen Flure, durch die wir liefen. Mac Quiet schloss eine Tür auf und gab mir das Zeichen einzutreten. Seltsamerweise verspürte ich keine Angst vor ihm – ich war fasziniert, einen Vampyr kennenzulernen – und doch zögerte ich. Ich war noch nie in meinem Leben mit einem Mann allein gewesen und es kam mir nicht schicklich vor. Doch was blieb mir anderes übrig? Draußen wurde es hell und ich musste mich irgendwo zur Ruhe begeben. Er zeigte auf ein Bett und eine gepolsterte Tagesliege.
»Sucht Euch aus, wo Ihr ruhen möchtet.« Er lächelte mich an.
Ich blickte um mich. Eine Bücherwand dominierte die Stirnseite des Raumes. Zwei gemütlich wirkende Sessel zeigten, dass die Bücher auch gelesen wurden. Statuen und Büsten verteilten sich auf mit Schnitzwerk
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