Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
locker.
Arconoskij blieb stumm, nahm sein Weinglas, trank aber nicht.
»Nun ja«, murmelte Comitti, den das Verhalten seines Gastes befremdete, »dann werde ich mal weiterlesen.« Zögernd nahm er die Seiten auf. »Eines stelle ich jedenfalls fest: Lucienne kann ihren Sohn nicht leiden. Ist bei diesem Verhalten auch nicht verwunderlich.«
»Welchem Verhalten?« Arconoskij Augen verengten sich.
»Das Bankett und so«, nuschelte Comitti. »So was kann sie doch nicht für gut halten. Sie ist eine Nonne.«
»Sie ist ein Vampir.«
»Aber sie hat geschworen, nie mehr zu töten.«
»Lächerlich.«
Comitti verstand Arconoskijs Verhalten nicht. Er seufzte und las weiter.
*
»Mir war von jeher bewusst, dass ich etwas Besonderes bin. Man erzählte mir, dass ich die Hunde auf die Nachbarskinder gehetzt hätte, kaum dass ich laufen konnte. Als Heranwachsender befahl ich meinem Pferd, meinen Vater totzutreten. Meinen Vater, pah. Ein dreckiger Bauer war er, der keine Ahnung hatte. Einzig bei meiner Namensgebung hatte er einen hellen Moment.« Miguel wandte sich an mich.
»Wisst Ihr, was der Name Miguel bedeutet?«
Er enthob mich der Antwort und fuhr im gleichen Atemzug fort. » Wer ist wie Gott? - Ist das nicht herrlich?« Er kicherte. »Ich fand den Namen schon immer passend. Aber die Dorfbewohner waren anderer Ansicht. Man verbannte mich ins Kloster. Seht Ihr, Mutter, so verschieden sind unsere Lebenswege gar nicht.«
Ich sank auf meinem Stuhl zusammen. Viel konnte das Kloster nicht bewirkt haben.
»Ich kam unter Pater Laurentius’ Aufsicht. Ich habe noch nie jemanden so sehr gehasst wie ihn. Für die Leute im Dorf hatte ich nur Verachtung übrig, sie waren dumm und einfältig, sie konnten nicht erkennen, welche Gabe ich besaß. Aber er, der belesen war, er hätte erkennen müssen, dass ich etwas Besonderes bin. Tat er aber nicht. Ganz im Gegenteil. Er züchtigte mich und sperrte mich in den Keller. Durch ihn lernte ich, was Hass ist und wie wichtig die Verstellung. Nicht wahr, Mutter?«
Ich erschrak. Was meinte er? Spürte er meine Ablehnung? Miguel lächelte mich strahlend an und fuhr fort.
»Als ich zum Mann heranreifte, merkte ich, dass ich in der Lage war, die Gedanken anderer Menschen zu lesen. Zunächst hielt ich es für normal und dachte, alle Menschen wären dazu in der Lage. Als ich herausfand, dass dem nicht so war, machte ich mir diese Eigenschaft zunutze. Ich spionierte in den Gedanken von Pater Laurentius und erhielt nützliche Informationen. Ich wurde folgsam und durfte unter seiner Anleitung in der Bibliothek arbeiten. Wenn er nicht hinsah, suchte ich das Regal mit den mir verbotenen Schriften auf. Ich fand ein erstaunliches Buch mit dem Titel Vampyre. Die Abschrift war erst kürzlich aus Avila zu uns gekommen und ich bemerkte, dass die letzten Einträge neueren Datums waren. Ich gratuliere dir, Mutter. Du hast der Nachwelt einen sehr komplexen Einblick in unser Dasein ermöglicht.«
Ich zuckte zusammen. Woher wusste er, dass diese Ergänzungen von mir stammten? Miguel grinste.
»Nun, ich konnte nachlesen, dass es Kreaturen gab, die die gleichen Fähigkeiten besaßen wie ich. Allerdings könnten sie nicht im Tageslicht wandeln und hätten kein Spiegelbild.«
Miguel breitete seine Arme aus. »Aber das macht nichts, meine Damen. Ihr habt mich und ich bestätige euch nur allzu gern, Nacht für Nacht, dass eure Schönheit, die ihr nicht mehr überprüfen könnt, heller strahlt als die Sonne.«
Mir wurde schlecht. Die Damen im Publikum kicherten, klatschten und warfen ihm Kusshändchen zu.
»Die Schönste von allen seid Ihr, Mutter.« Miguel beugte sich über meine Hand und küsste sie. Ich hätte sie ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen. Ich wollte ihm nicht weiter zuhören, aber ich fand keine Möglichkeit, seinem Vortrag zu entkommen.
»Dann fand ich noch viel interessantere Schriftstücke. Der Fund kostete mich zwei Wochen Kelleraufenthalt, aber es hatte sich gelohnt. Ich fand einen Briefwechsel zwischen einem gewissen Vikar Alvarez und dem Bischof. Es handelte sich offensichtlich um ein Mädchen, das den Vampyren zum Opfer gefallen war. Sie erwartete ein Kind!« Miguel schlug sich die Hand vor den Mund und riss die Augen weit auf. Sein Publikum machte pflichtschuldig »Huh!«
»Das Kind war ich!«
»Ah!«
»Und das Mädchen war niemand Geringeres als meine liebe Mutter, Lucienne de Viellvient.« Miguel war zuletzt immer lauter geworden und die Vampyre hatten ihm immer schriller
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