Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Handbewegung.
Ich nickte. Es stimmte, ich hätte nie zugelassen, dass Lisette ein Leid angetan wurde. Aber ich hatte geschlafen.
»Sie ist im Gebirge abgestürzt. Kurz nach dem Tod ihrer Freundin. Manche sagen, es war ein Unfall. Ich glaube, dass sie den Tod gesucht hat.«
»Glaubt Ihr das wirklich?«
»Ja. Zunächst war ich auch verwundert.« Lisette sprach mehr zu sich selbst. Das Kreuz hatte sie gesenkt. »Ihr Glauben hätte sie davon abhalten müssen. Andererseits, wo hätte sie hingehen sollen? Ich hatte ihr die Familie genommen, ihre Freundin war tot.« Lisette brach ab und ich sah die Träne, die in ihrem Augenwinkel auftauchte. Ich wollte sie trösten. Rasch ging ich auf sie zu, um sie doch in den Arm zu nehmen, wie ich es früher immer getan hatte. Ich streckte gerade meine Arme nach ihr aus, als sie mich anbrüllte und das Kreuz hob.
»Hure. Welche Finten denkt ihr euch noch aus? Aber ihr werdet mich nicht bekommen. Keine von euch.«
Ich wich fauchend zurück.
»Verdammt seid ihr. Fast wäre ich auf dich und dein Aussehen hereingefallen. Verschwinde. Meine Schwester ist tot und ich bin froh darum. Dann muss sie dies hier nicht miterleben.«
Ich sah ein, dass nichts zu ändern war. Lisette konnte mich nicht erkennen. Ich sah aus wie ein siebzehnjähriges Mädchen und nicht wie ihre ältere Schwester.
Mac Quiet hatte vor der Tür gewartet. Er nahm mich wortlos in den Arm. Zwar war ich wütend auf diesen Mann, weil er mich in diese Situation gebracht hatte, aber ich genoss seine tröstende Umarmung. Seit Theresas Tod fehlte mir jeglicher Zuspruch.
»Ihr könnt ihr nicht helfen«, murmelte er und strich mir über die Wange. »Miguel hat verboten, dass man ihr etwas antut.«
Ich schluchzte. »Und Orlando, die Kinder?«
»Tot.«
Mac Quiet forderte mich mit einer Bewegung auf, ihm zu folgen. Ich hatte bald die Orientierung verloren. Abermals stiegen wir in den Keller hinab. War es so spät? Ich hatte wohl auch mein Zeitgefühl verloren. Wir erreichten sein Zimmer, ohne dass wir jemanden begegneten und ich nahm zitternd Platz. Er schenkte ein Glas ein und bat mich, in Gedanken in seinen dunklen Raum zu kommen.
»Nun habt ihr Euch selbst ein Bild gemacht. Ihr seht, wie es hier steht. Ich denke, dass ich Eure Meinung dazu kenne.« Er lächelte mir zu. »Ich empfinde dasselbe. Miguel muss einen Grund haben, warum er Euch rufen ließ. Ich flehe Euch an, vorsichtig zu sein. Ihr schwebt in Gefahr.«
Ich blickte Mac Quiet perplex an. Was sollte mein Sohn von mir wollen? Warum sollte ich in Gefahr sein? Wenn wir nicht einer Meinung wären, würde ich gehen. Ich verstand ihn nicht.
»Was ist mit Orlando und den Kindern geschehen?« Ich versuchte, meine unzähligen Fragen in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.
»Man infizierte die Kinder und enthauptete sie anschließend. Orlando wurde getötet, als er seine Kinder verteidigen wollte.«
»Aber warum?« Dieses Warum beinhaltete alles. Es war das Warum vom Anbeginn, seit ich Mac Quiet kannte. Warum hatte er mich infiziert? Warum war mein Sohn, obwohl doch von der Kirche getestet, ein Monster? Warum war er auf dem Gut von Lisette? Warum hatte er ihre Familie getötet, aber nicht sie?
»Warum?«
Erschöpft sank ich im Sessel zurück und schloss die Augen. Ich wünschte mich in den Brunnen zurück. Ich wünschte, ich könnte ewig schlafen. Ich wünschte, ich wäre tot. Dann öffnete ich meine Augen. Mac Quiet blickte mich mitfühlend an. Gerade dieses Mitgefühl, dieses Verständnis machten mich wütend. Was bildete er sich ein? Erst brachte er mich und meine Familie in diese Lage, und nun heuchelte er Anteilnahme und Bedauern?
»Lasst Euch erklären, wie alles kam.«
Ich funkelte ihn zornig an. Als ob eine Erklärung, und wäre sie noch so plausibel, Geschehenes rückgängig machen könnte.
»Was soll das nützen? Ihr habt mich zu dem gemacht, was ich bin. Durch Euch ist mein Sohn das geworden, was er ist. Ihr tragt Schuld daran, was nun mit meiner Schwester passiert und was mit ihrer Familie geschehen ist. Meint Ihr wirklich, dass es irgendetwas gibt, was Eure Schuld mildert? Euer Handeln erklärt? Warum habt Ihr mich allein gelassen, nachdem Ihr mich infiziert hattet?
Ich schloss abermals die Augen. Bilder von Salvador und Lisette zogen an mir vorüber. Bilder, von denen ich glaubte, sie längst vergessen zu haben. Selbst der Graf erschien vor meinem geistigen Auge. Theresa, die von Verzeihen sprach. Verstehen ist Verzeihen, hatte sie mir oft
Weitere Kostenlose Bücher