Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
gesagt.
Ich öffnete die Augen. Ich wollte keine Entschuldigung hören. Ich wollte seinen Grund hören. Er hätte sich jede andere Person aussuchen können. Warum mich?
»Ich befürchte, ich muss weiter ausholen, damit Ihr die Tragweite meines Handelns versteht. Es fällt mir nicht leicht, über diese Dinge zu sprechen. Aber wenn ich sie Euch nicht anvertraue, Lucienne, dann wüsste ich nicht, wem.«
Mac Quiet sah mich mit traurigem Blick an. Ich nickte, dass er beginnen möge.
»Dass ich Schotte bin, habe ich Euch schon verraten.« Er sprach leise. »Ich wurde streng katholisch erzogen und stehe zu meinem Glauben bis heute.«
»Ist Miguel ein Vampyr oder nicht?« Ich unterbrach ihn, denn er hatte einen Ton angeschlagen, der einen stundenlangen Vortrag versprach. Ich hatte keine Zeit und kein Interesse, mir seine Lebensgeschichte anzuhören. Meine Gedanken hatten sich einem anderen Thema zugewandt.
Mac Quiet zuckte zusammen, runzelte die Stirn und seufzte.
»Wenn Ihr ihm in die Augen gesehen hättet, wüsstet Ihr, dass er kein Kind Gottes ist.«
Ich schüttelte den Kopf. Wenn es so einfach wäre, wenn wir durch die Augen in das Herz eines Menschen sehen könnten, wie viel weniger Leid gäbe es auf Erden.
Mac Quiet zog ein Tuch von der Wand, hinter dem ein Spiegel verborgen hing. Ich erkannte ihn einzig daran, dass er das Zimmer, das hinter uns lag, wiedergab. Mac Quiet und ich fehlten allerdings auf dem Bild.
»Was für ein Teufelswerk ist das?« Ich hatte schon seit Jahren keinen Spiegel mehr gesehen, da es in den Klöstern, in denen ich gelebt hatte, keine gab.
»Das ist ein ganz normaler Spiegel, Lucienne. Wir sind das Teufelswerk. Alles, was Gott geschaffen hat, spiegelt sich hier.« Mac Quiet tippte gegen das geschliffene Glas. Ich sah seine Hand, allerdings nur einmal. »Wir sind nicht mehr Gottes Kinder, darum können wir uns darin nicht sehen.«
Ich starrte in den Spiegel. Obwohl ich vor ihm saß, konnte ich mich nicht sehen. Ich drehte mich um. Hinter mir war der Tisch mit den Gläsern und Flaschen. Vor mir im Spiegel auch. Nur von mir und Mac Quiet war keine Spur zu sehen.
»Um auf Eure Frage zurückzukommen. Wenn Ihr in die Augen eines Menschen blickt und Ihr könnt Euch darin nicht spiegeln, so könnt Ihr davon ausgehen, dass dieser ein Kind Gottes ist. Wenn Ihr allerdings in die Augen Eures Gegenübers blickt und Ihr könnt Euer Spiegelbild sehen, dann wisst Ihr, dass dies ein schlechter Mensch ist.«
Mac Quiet setzte sich mir gegenüber. »Ich habe mich eine Zeit lang nur von dieser Art Mensch ernährt. Ich hoffte damit, die Gebote des Herrn nicht allzu sehr zu brechen.«
»Du sollst nicht töten.«
Mac Quiet nickte. »Mit der Zeit habe ich auch damit aufgehört. Was steht es mir zu, zu richten?«
Ich verstand, was er meinte. Aber ich verstand noch immer nicht, was es mit Miguel zu tun haben sollte.
»Wenn Ihr Eurem Sohn in die Augen seht, werdet ihr Euch gespiegelt sehen. Er ist kein Gotteskind, genauso wenig wie ich oder Ihr.«
»Dann ist er ein Vampyr?«
»Nein, er ist ein Mischling. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Er kann sich bei Tageslicht bewegen, er erträgt den Anblick des Kreuzes, Weihwasser …«
»Aber er kann Gedanken lesen und hat die Kräfte eines Vampyrs«, sagte ich und vollendete den Satz.
»Er ist sehr gefährlich. Ich weiß nicht, was er vorhat, aber er braucht Euch dazu, das ist sicher. Er hat mich gezwungen, Euch zu wecken. Ich hätte Euch lieber schlafen gelassen, bevor Ihr dies hier alles erleben müsst.«
Warum schien Mac Quiet nur so besorgt um meine Person? Ich konnte es deutlich fühlen. Waren alle Vampyre so, dass sie die schützten, die sie infizierten?
»Nein, so ist das nicht.«
Ich hatte vergessen, dass wir uns immer noch im dunklen Raum seiner Gedanken aufhielten. Wenn er nun schon meine Frage gehört hatte, dann konnte er sie mir auch beantworten.
»Wie ist es dann?«
»Ich habe einen anderen Grund. Ich habe erst zwei Menschen infiziert, seit ich zu dem geworden bin, der heute vor Euch sitzt.«
»Welchen ehrenvollen Grund hattet Ihr, ausgerechnet mich zu infizieren, und mich und meinen Sohn ins Unglück zu stürzen?«
»Ich konnte Euch nicht anders vor dem kommenden Unheil bewahren. Ich kenne Euch bereits länger, als Ihr es für möglich haltet.« Mac Quiet verbarg sein Antlitz in seinen Händen und stöhnte. Ich ging nicht darauf ein.
»Welches kommende Unheil?« Ich wurde wütend. Diese nebulösen Andeutungen gingen mir gegen den
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