Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Blutverlust, Sie verstehen?«
Comitti nahm das Manuskript und las. Er war erstaunt, wie ruhig seine Hand war, die die Blätter hielt.
*
Wir verließen Schottland. Ich hatte nie die Chance, dieses Land bei Tageslicht zu sehen, darum fehlte mir Argyles Begeisterung. Er beschrieb uns die Landschaft, die grau an uns vorbeizog in den buntesten Farben – ich konnte sein Entzücken nicht teilen.
Am Ende der ersten Nacht kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und den drei Schwestern. Als es Zeit war, einen Platz für den Tag zu suchen, wollte sich Argyle auf bewährte Art eingraben. Er hatte begonnen, fünf Gräber aus dem weichen Boden zu heben. Isolde war auf ihrem Pferd sitzen geblieben und sah ihm gespielt interessiert zu.
»Was meinst du, was du da machst, Argyle?«
»Wir brauchen eine Unterkunft für den Tag.« Argyle schaufelte unverdrossen weiter.
»Du glaubst doch nicht, dass ich mich da hineinlege?«
Argyle sah auf. In seinen Augen stand Unverständnis.
»Ich werde dort nicht ruhen.« Isolde wendete ihr Pferd.
»Hast du eine bessere Idee?« Argyle streckte sich.
»Ich persönlich werde in einem Bett schlafen. Ich habe es doch nicht nötig, mich in einem Schlammloch zu verstecken.«
»Du willst um diese Uhrzeit bei einem Gasthof unterkommen?«
Isolde nickte.
»Für fünf Personen? In der Morgendämmerung?«
»Ja.« Isolde sah grimmig zu ihren Schwestern, die sich bisher nicht eingemischt hatten. »Was sagt ihr dazu? Wollt ihr in dem Erdloch verschwinden?«
»Ich finde das eklig.« Isabella rümpfte ihr kleines Näschen.
»Ich bin nicht wirklich begeistert, aber ich verstehe, was Argyle meint. Um nicht aufzufallen, wäre es besser, wir würden uns hier hinlegen.« Isadora versuchte, zu vermitteln.
»Nein, nein und nochmals nein. Ich bin vielleicht nur ein einfaches Bauernmädchen, aber ich werde mich nicht in ein Drecksloch legen, nur weil es unauffälliger wäre. Ich bestehe auf einem Bett und der Möglichkeit, wenigstens für ein paar Stunden trocken zu werden.«
»Das will ich auch.« Isabella schlug in die Kerbe ihrer großen Schwester und wendete ebenfalls ihr Pferd.
Die Wirte, die wir ab da aus den Federn jagten, staunten: ein Mann mit vier Frauen. So reisten wir durch Schottland und England, verließen die Insel und kamen erneut am Festland an. Wir schrieben das Jahr 1598. Ich war traurig, dass die Ruhe schon wieder vorbei sein sollte. Andererseits war mir klar, dass ich nie wieder zur Ruhe kommen sollte. Nicht, solange mich Miguel suchte.
Wir nahmen den Weg, den ich vor so ewig langer Zeit geritten war. Wieder lagen der Atlantik rechts und die Pinienwälder links. Nur ritt ich ihn diesmal nachts. Die Pinienwälder dufteten und schenkten uns die gespeicherte Wärme des Tages. Ich erinnerte mich an die damalige Hoffnung, Salvadors Frau zu werden, und seufzte.
»Du hast hier gelebt, nicht?«, fragte Isadora mitfühlend.
Ich nickte.
»Warst du glücklich?«
Wenn ich mir die heutige Situation überlegte, hätte ich bejahen müssen. Aber ich war jetzt glücklich. Ich war mit meinem leiblichen Vater zusammen und begann, ihn zu lieben. Das stellte ich genau in diesem Moment fest.
Ich verließ das Land meiner Kindheit ohne große Trauer. Wir zogen ostwärts. Nachdem wir uns vom Atlantik abgewandt hatten, lagen die Pyrenäen nun zu unserer Rechten. Wir durchquerten duftende Wiesen und satte Felder. Ich hatte das Gefühl, die Welt um mich herum bestünde nur noch aus Düften. Lavendel, Jasmin, Thymian. Die Erde atmete nachts die Hitze des Tages aus. Es hätte ewig so weitergehen können. Ich begann, die Rotschöpfe zu mögen.
Ich bewunderte Isolde für ihre Theatralik, Isadora für ihren klaren, scharfen Verstand und Isabella für ihr kindliches Gemüt, das sie, obwohl sie weit über zweihundert Jahre lebte, beibehalten hatte. Die drei neckten mich und Argyle, wenn wir beteten und an Kapellen abstiegen. Sie konnten nicht einmal die Nähe einer Kirche oder Kapelle ertragen.
Mir selbst fiel es schwer, in die Nähe eines Kreuzes zu kommen. Der Anblick schmerzte mich und rief Übelkeit in mir hervor. Allerdings schmerzte es mich mehr seelisch, dass ich so reagierte. Zu gern hätte ich zu einem Kreuz hinauf gesehen und mein Gebet gesprochen. Nun, ich senkte meinen Blick, umfasste den Fischanhänger, den mir Schwester Theresa vor Jahren geschenkt hatte, und sprach meine Worte mit geschlossenen Augen. Argyle stand neben mir und ich wusste, dass auch er litt.
Wir waren
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