Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
Vom Netzwerk:
möglich mit dem ›Buch‹ verschwinden sollen, nicht darin blättern, als wäre ich ein Student in der Universitätsbibliothek  – in der Universitätsbibliothek mitten in der Nacht, mit Glasschneidern und Zahnstochern und allen möglichen anderen Einbruchswerkzeugen ausgerüstet. Ich forderte es geradezu heraus, auf frischer Tat ertappt zu werden, mit Fingerabdrücken von meinem Blut überall auf dem aufgebrochenen Schrank und dem Holztisch, an dem ich das ›Buch‹ studierte. Aber ich konnte nicht fort.
    »Wer kommt noch auf einen Schluck mit?«, hatte Joey gefragt, einen Fuß auf der Holzbank neben mir, auf das Knie aufgestützt, den Blick auf Jack und Puck gerichtet, die im Gras lagen.
    »Scheiß drauf«, sagte Puck. »Ich rühr mich nicht vom Fleck.«
     
    Der Alarm klingelte weiter, doch niemand kam, und ich ertappte mich dabei, wie ich meine blutverschmierte linke Hand ausstreckte, um weiterzublättern. Ich wusste, dass ich von hier verschwinden sollte, aber ich saß fest, als wäre ich in einem vorherbestimmten Augenblick gefangen. Mir war bewusst, dass ich gerade Sibirien mit Blut beschmierte, in einem unschätzbaren Werk. Mir war bewusst, dass die Wachleute jede Sekunde hier sein würden. Mir war bewusst, dass ich dafür ins Gefängnis kommen könnte. Herrgott, das ›Buch‹ war echt, ich hielt es in Händen, jetzt, in diesem Moment. Und trotzdem, obwohl mir das Blut in den Ohren rauschte, mir Blut über die Augen lief, Blut alles beschmierte, was ich anfasste – trotzdem blätterte ich weiter.
     
     
    Neues, unbekanntes Gebiet
     
    Vor mir lag die Küste einer viel größeren Welt, als die, die ich kannte. In dieser Welt bildete die Antarktis nur die Spitze eines gewaltigen Kontinents im Süden. In dieser Welt war Grönland eine Insel in einer Flussmündung – Baffin Bay auf der einen und das Nordmeer auf der anderen Seite erstreckten sich nach Norden, verschmolzen zu einer gewaltigen Mündung. Asien und Amerika waren bloße ... Vorgebirge, Landspitzen einer hyperboreischen Weite, und der arktische ›Fluss‹, der sie teilte, hatte seinen Ursprung weit im Norden, außerhalb der Karte.
     
    Im Osten und Westen dasselbe – ein völlig neues, unbekanntes Gebiet. Die Westküste der USA erstreckte sich im Norden wie im Westen weit über Alaska hinaus, während die Antarktis in einem großen Bogen nach unten ihre Fortsetzung fand. Wo die Beringstraße hätte sein müssen, formte sich die Ostküste Chinas zu einem Meerbusen von der Größe der Ostsee, und von dort verlief ein weiterer riesiger Fluss nordwärts. Aus dem Osten ragte eine völlig veränderte Landmasse herüber, am äußersten Rand des Stillen Ozeans – wenn der Name überhaupt noch zutraf –, der Ostpazifik vielleicht, denn im Westen befand sich auf dieser Karte ein ganz anderes Meer. Ich blätterte weiter.
     
    Erneut wurde der Maßstab kleiner, und auf dieser Karte mochte die mir bekannte Welt kaum mehr ein Sechzehntel der sichtbaren Fläche ausmachen. Die nordöstliche Küste der gewaltigen Antarktis krümmte sich nach oben hin und traf dort auf das sonderbare Land im Osten, das sich wiederum so weit erstreckte, bis es auf die Küste traf, die von China in weitem Bogen nach unten verlief. Von einer neuen Straße von Gibraltar in die Zange genommen – der Spitze Südamerikas und dem antarktischen Knie –, war der Ostpazifik nicht mehr als nur ein Binnenozean, ein etwas größeres Mittelmeer, winzig im Vergleich zu den Landmassen, die ihn auf drei Seiten einschlossen. Hyperborea im Norden, dachte ich, die Subantarktis im Süden und ein Orient jenseits des fernsten Orients, den wir jemals gekannt haben.
     
    Ich blätterte weiter und weiter, und die Welt, die mir bekannte Welt bildete nur noch einen winzigen Teil einer unfassbar großen Landschaft. Ich bin kein Physiker, aber ich weiß genug über Materie und Schwerkraft, um zu begreifen, wann auf der Oberfläche einer Welt kein menschliches Leben mehr gedeihen kann. Dies war eine Welt von der Größenordnung des Jupiter und des Saturn. Ich blätterte immer noch weiter, zwei oder drei Seiten auf einmal, doch jedes Mal waren die Karten um ein Vielfaches größer als die davor, und noch immer war jede Welt, die zum Vorschein kam, nur ein Viertel der Welt auf der nachfolgenden Seite. Aus Kontinenten wurden Inseln vor Küsten, aus denen wiederum Kontinente wurden. Zehn Seiten, zwanzig. Die mir bekannte Welt war in diesem Maßstab nicht einmal mehr erkennbar, aber noch immer gab es

Weitere Kostenlose Bücher