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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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menschliche Gestalt verliehen habe, damit sie mir in diesem erträumten Leben Gesellschaft leisteten. Ich muss an Jack und Joey denken, Feuer und Eis, Licht und Finsternis. Und ich muss an Thomas denken und fühle mich betrogen, verraten. Ich kann nicht einfach hinnehmen, dass Puck nur das Hirngespinst eines einsamen Gespenstes war. Nein. Ich glaube – ich will glauben –, dass sie alle wirklich waren, dass ich sie gekannt habe, dass jener Tag auf der Wiese vor der Bibliothek wirklich und real war, selbst wenn er anders verlaufen sein sollte. Ich glaube, dass ich ein Leben ohne das ›Buch‹ geführt habe, ohne eine dieser Geschichten, einfach ein normales Leben, das sich im Tod mit einigen Unterschieden wiederholte, als stiller Weg, der mich zu diesem Punkt führte. Und wenn ich mir vorstelle, wie Jack und Joey damals in der Kirche standen, stelle ich mir vor, wie Thomas bei ihnen steht und nicht ich. Vielleicht war sein Tod auch nur Einbildung, ein versteckter Hinweis. Hoffentlich ist das die Wahrheit. Das hoffe ich von ganzem Herzen. Und wohin gehe ich jetzt? Es ist eine einsame Welt, dieses Zwischenreich, und ich hoffe nur, dass es an einer Grenze liegt. Das ›Buch‹ legt nahe, dass dort draußen etwas ist, etwas Größeres, als die Erinnerung eines einzelnen Menschen zu fassen vermag, eine Welt jenseits der Welt, die sich dahinter befindet. Und wenn ich erwacht bin, weil ich das ›Buch‹ aufgeschlagen habe, dann muss auf seinen Seiten die Geschichte meines Lebens – meines Todes – stehen, von heute an. Ich habe mich allein in einer Welt wiedergefunden, die nur der winzige Teil eines größeren Ganzen ist. Irgendwo dort draußen, in anderen Winkeln dieses gewaltigen Reiches, befinden sich noch andere Seelen, nach ihrem Tod in ihrer eigenen Vorstellungskraft wiedergeboren. Werden sie wissen, dass sie tot sind, oder fällt es mir zu, sie wachzurütteln? Gibt es bereits Wege zwischen den Welten, auf denen andere unterwegs sind? Wie viele mögen ihre leeren Welten auf der Suche nach anderen verlassen haben? Was für Städte mochten errichtet worden sein, wo sich Seelen in den weitläufigen Landschaften des Jenseits begegnen? Großer Gott, dieses Buch könnte die Karten der Hölle enthalten, aber vielleicht enthält es in den Siegeln, die darin eingeprägt sind, auch den Schlüssel zum Himmel. Ich weiß nicht einmal, ob jeder Tote ein solches Buch besitzt, das ihm im Tod den Weg weist, oder ob ich das einzige Exemplar in Händen habe. Das werde ich wohl erst erfahren, wenn ich einige Zeit unterwegs bin. Wahrscheinlich gibt es viele Dinge, die ich erst noch erfahren werde.
     
     
    Die Straße des Ewigen Staubes
     
    Morgen möchte ich aufbrechen. Schließlich habe ich das ›Buch‹, das mich zu diesem großen Abenteuer anspornt und jeden meiner Schritte leitet. Jetzt liegt es auf dem Kneipentisch vor mir, und auf einmal verstehe ich etwas, was ich anfangs nicht begriffen habe. Der Einband zeigt nicht mehr das Gewölbe, in dem ich es gefunden habe. Ich habe nicht bemerkt, wie er sich verändert hat, aber jetzt bildet die Prägung des Ledereinbands die Tische und Stühle um mich herum ab, und die erste Seite zeigt den Grundriss dieser Kneipe. Das ›Buch‹ verändert sich, wenn der Leser sich bewegt. Der Träger des ›Buches‹ bleibt stets im Mittelpunkt der Landkarte. Und die Glyphe, das sonderbare Auge, das sich auf den Landkarten im Innenteil wiederholt? Ein Symbol für den Leser – den Hüter, den Schöpfer – selbst, das Oval eines Körpers, von oben betrachtet, darin ein Kreis, der den Kopf darstellt, und vier Halbkreise, welche die Arme und Beine symbolisieren. Und das Rechteck, das sich damit überschneidet, ist natürlich das ›Buch‹, das Makromimikon, das Original, das ich bei mir trage und das vielleicht schon ein Teil von mir geworden ist. Wohin ich auch gehe, werden die ersten paar Karten die Welt um mich herum zeigen, so genau, wie ich es mir nur wünschen kann, sogar wenn ich mich in Regionen wage, die bisher nur im allergrößten Maßstab abgebildet sind – davon bin ich überzeugt.
     
    Morgen wird meine Reise richtig losgehen. Ich werde sie auf der Straße antreten, die ich in meiner Welt als Great Western Road gekannt habe, bis sie auf eine weitere vertraute, aber veränderte Straße trifft. Dass sie sich an einer mir fremden Kreuzung mit der Crow Road vereinigt, um zu einem neuen und unbekannten Weg zu werden, scheint mir bedeutsam – die Straße der Krähe, des

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