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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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goldenes Brustgehänge legte sie sich um, das Männern wie Jünglingen leise und mit metallischem Flüstern zurief: Kommt zu mir, kommt. Einen goldenen Armreif streifte sie sich über die weiche Hand, auf ihr schmales Handgelenk, und nahm Stab und Seil zur Hand.
    Und schließlich hüllte sie sich in ihr herrschaftliches Gewand.
     
    Inanna brach auf nach Kur und sprach zu ihrer getreuen Dienerin Ninschubur.
    »Ninschubur«, sprach Inanna, »meine Sukkal, die mir weisen Rat gibt, meine unerschütterliche Stütze, die Kriegerin, die meine Flanke schützt, ich steige nach Kur hinab, in die Unterwelt. Falls ich nicht zurückkehre, erhebe ein großes Wehklagen für mich in den Ruinen. Schlage die Trommel für mich bei den Zusammenkünften der Unkin und vor den Gotteshäusern. Zerkratze deine Augen, deinen Mund, deine Schenkel. Kleide dich in das schmutzige härene Gewand der Bettler und gehe dann zum Tempel des Herrn Ilil in Nippur. Betritt sein Heiligtum und rufe ihn an mit den Worten:
     
    »O Vater Ilil, deine Tochter soll in der Unterwelt niemand töten, dein schweres Silber soll niemand mit dem Staub der Unterwelt bedecken, dein kostbares Lapislazuli soll niemand zusammen mit den Steinen des Steinarbeiters zerschlagen, dein Zedernholz soll niemand zusammen mit dem Holz der Tischler spalten. Die Herrin des Himmels, die heilige Priesterin der Erde, soll nicht in Kur getötet werden.
    Falls Ilil dir nicht hilft«, sprach Inanna, »geh nach Ur zum Tempel von Sin und weine vor meinem Vater. Falls er dir nicht hilft, geh nach Eridu, zu Enkis Tempel, und weine vor dem Gott der Weisheit. Enki kennt die Speise des Lebens; er kennt das Wasser des Lebens; er kennt die Geheimnisse. Ich bin sicher, dass er mich nicht dem Tod preisgeben wird.«
    Bäume und Gewitter
     
    North Carolina, wo die alte 70, die von Hickory nach Asheville führt, die 225 kreuzt, die von Süden heraufkommt, von Spartanburg und weiter her, durch die Blue Ridge Mountains und eine Landschaft der Bäume und Gewitter. Es findet sich auf der Karte, aber es ist ein kleiner Ort, oder es sieht zumindest so aus, vom Freeway nicht einsehbar, bis man abbiegt, an dem Schild vorbei, auf dem ›Willkommen in Marion, eine Stadt des Fortschritts‹ steht, und auf dem Motorrad langsam durch die Straßen rollt, durch das Stadtzentrum mit seinen Second-Hand-Läden und Apotheken, der Feuerwehr, dem Rathaus, den wenigen Plattenläden und Fachgeschäften, die ihre Kundschaft noch nicht ganz an den Wal-Mart verloren haben, der nicht weit die Straße hinunter liegt.
     
    Sie fährt an den stillen Häusern vorbei, deren Front aus Backstein ist und die sich – verschlafen, wie sie sind – noch immer irgendwo in den 1950ern befinden, die auf eine Zukunft warten, die nie eintreten wird, von einer Vergangenheit träumen, die nie ganz vorbei ist, aus dem kleinen Stadtzentrum hinaus und in ein Einkaufsviertel mit Fastfoodlokalen und Gaststätten, einem Steakhaus und einem Japaner, in der Mitte eines Parkplatzes ein verlassenes Kino – all diese Gebäude sind an der Straße aufgereiht wie billige Plastikperlen auf einer alten Halskette. Sie hält vor einem Hardee’s an, schaltet den Motor aus und tritt den Ständer nach unten.
     
    Der Burger schmeckt gut – ein ordentliches Stück echtes Fleisch, keine dünne fade Frikadelle aus gemahlenem Knorpel und Fett – und sie spült ihn mit großen gierigen Schlucken Mountain Dew hinunter, rührt mit dem Strohhalm in dem eimergroßen Pappbecher, lässt das Eis klirren, während sie durch das Fenster auf die Straße blickt, die heiß in der Sommersonne daliegt, schwül und drückend. Der Himmel ist strahlend blau, das Blau eines Madonnengewands, das sich bis in die Ewigkeit erstreckt, bis –
    – sie im Waschraum vor dem Spiegel steht, sich für einen Moment auf das Becken stützt, von einem plötzlichen Brummen schwindlig, einem Summen, einer Melodie, die in leisen Wellen ihren Körper erfasst, wie die Luft über einer heißen Straße in der Sonne flirrt. Der Cant. Scheiße, denkt sie. Sie muss nah dran sein. Sie wirft einen Blick auf die Armbanduhr, die auf dem Handtrockner liegt. Der Sekundenzeiger zuckt vor und zurück, willkürlich, sporadisch, wie eines dieser Instrumente in einem Film, wenn das Flugzeug in einem Gewitter abstürzt.
    Es ist der 4. August 2017. In gewissem Sinn.
     
    Nachdem sie wieder etwas ruhiger geworden ist, betrachtet sie ihre Augen, die von Maskara und Schlafmangel schwarz umrandet sind, und streicht sich

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