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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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ich, sondern wir alle, wenn ihr zu mir haltet. Wir werden ... Herzöge sein.«
    Herzöge, denkt Metatron. Das ist doch nur ein anderer Name für die Auserwählten.

5
Narziss ist erwacht
    Die Wirklichkeit der Träume
     
    »Glauben Sie, dass Ihre Träume wirklich sind, Jack?«
    »Das liegt im Wesen der Verschwörung. Wir alle glauben, dass unsere Träume wirklich sind.«
    »Die meisten Leute sehen die Welt nicht so wie Sie, Jack.«
    »Sie können es nicht sehen? Sie können es verdammt nochmal nicht sehen? Sehen Sie nicht, wie die Statue eines Heiligen über einen Priester wacht, während er einem verdammten Ministranten an die Wäsche geht? Sehen Sie nicht das Buch der Lügen in den Händen eines Fanatikers, der eine Steinigung befiehlt? Das Horoskop, das einem Präsidenten gestellt wird, bevor er den Befehl zum Angriff gibt? Und Sie sagen, ich würde in einer Phantasiewelt leben, Dr. Starn?«
    »Jack, das sind schreckliche Dinge, aber –«
     
    »Eine Fahne, die von einem Skinhead geschwenkt wird. Die Tätowierung einer Bulldogge auf einem Arm, der einen Backstein wirft. Blumenkränze, die zu Ehren einer toten Prinzessin niedergelegt werden  – einer ›Prinzessin des Volkes‹ – ein Menschenopfer für die Paparazzi – und jede Scheißzeitung druckt Hochglanzbilder von der Beerdigung, hmmm, noch etwas näher ran, zeigt mir Trauer, hach, was für eine Tragödie. Wer hält die Fäden in der Hand, Dr. Starn?«
    »Niemand hält da die Fäden in der Hand, Jack. Nicht so, wie Sie das meinen –«
    »Wer hält die Fäden in der Hand?!«
    »Beruhigen Sie sich, Jack.«
     
    »Sie leben schon so lange im Imperium, dass Sie es gar nicht mehr wahrnehmen. Die arbeiten versteckt, im Hintergrund, in Schatten und Spiegelungen. Kennen Sie Ihre Herren? Träume sind nicht wirklich? Ich bin überzeugt, dass sie unter uns sind, dass sie uns ihre süßen Versprechungen und Drohungen ins Ohr flüstern, in unseren Köpfen stecken – Hirnwürmer, Maden, die an unseren toten Seelen nagen. Träume, Meme, Götter und Ungeheuer, Geschöpfe des Es. Wenn sie nicht wirklich sind, was zum Teufel bin dann ich?«
    »Sie sind ein ausgesprochen verwirrter junger Mann, Jack. Sie sind krank.«
    »Ich bin wach!«
     
    Starn legt die Aktenmappe auf den Tisch. Er weiß, dass er ein verdammtes Risiko eingeht, zieht man den Geisteszustand des Jungen in Betracht. Möglicherweise ist es keine gute Idee, ihn mit seinem eigenen Gesicht aus einer anderen Zeit zu konfrontieren, das könnte seinen Hirngespinsten nur weitere Nahrung liefern – eine offene Tür, die aus der Wirklichkeit hinausführt. Genau genommen ist es ein Spiel mit dem Feuer, aber ... Er versucht, sich einzureden, dass er nicht hier ist, um den Jungen zu behandeln, er soll ihm nur die Wahrheit entlocken; aber unterm Strich sind die Menschen, mit denen er es zu tun hat, für ihn krank, nicht böse – ganz gleich, was er dem Beamten erzählen, wie die öffentliche Meinung lauten mag oder welche Spielart der Barbarei gerade von der Regenbogenpresse verfochten wird. Er hat es mit verletzten, verkrüppelten Seelen zu tun. Mit getriebenen, gespaltenen Gemütern. Die mit gebrochenen Herzen geboren wurden. Sie gehören in Heilanstalten, nicht in Gefängnisse. Nicht aufs Schafott.
    Er klappt die Mappe auf, schiebt sie Jack hin und zeigt ihm die Fotografie von Mad Jack Carter.
    »Sie sagten, Sie hätten einen Namen gehabt. Früher.«
    »Vor langer Zeit«, entgegnet er, »vor langer Zeit lebte einmal ein Junge namens Jack.«
     
     
    Rückkehr nach Arkadien
    Operativer Vorgang: Größenwahn verstärken; nach memetischem Unterbau suchen.
    Jack spielt mit der weißen Provianttasche herum, die er sich umgebunden hat. Sie spannt sich von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte über sein blaues Hemd. Sie ist an seinem Ledergürtel befestigt, und auf seiner linken Schulter prangt eine weiße Epaulette. Wenn er sein Käppi aufhat, sieht er aus, als sei er bei der verdammten Hitlerjugend. Er ist der ›Boys’ Brigade‹ nur beigetreten, weil Joey ihr angehört. Dieser ganze Sonntagsschulenscheiß ist die Hölle.
    »Aber es heißt doch, Gott habe Adam und Eva rausgeworfen, weil er nicht wollte, dass sie wie er seien und ewig lebten. Das steht da.«
    Er erwidert den Blick der Lehrerin, die ihn freundlich, aber entschlossen anlächelt und ihre Bibel schließt, und er sieht sich als Jesus, der die Geldverleiher aus dem Tempel vertreibt. Alles Halsabschneider, die den Menschen die Seele abhandeln

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