Velten & Marcks - Mordfall Tina Hofer (German Edition)
Sie musste einfach mit jemandem darüber reden, der sie noch kannte. Nehmen Sie es ihr nicht übel, Velten. Natürlich hat sie mich zum Schweigen verdonnert, und ich werde selbstverständlich mit niemandem darüber sprechen.“
Velten und Katja saßen am Besprechungstisch in Kreutzers großem Büro. Der Raum wirkte im Winter, wenn von außen nur wenig Licht durch die Fenster drang, noch bedrückender als sonst. Man sollte die uralten, dunklen Möbel hinauswerfen und einen fähigen Innenarchitekten beauftragen, sich im Arbeitszimmer des Chefredakteurs auszutoben, fand Velten. „Ich denke, den Konjunktiv können wir überspringen . Der Anhänger beweist ziemlich eindeutig, wer die Tote ist.“
Kreutzer strich über seinen penibel getrimmten Bart: „Schreckliche Sache. Ich kann mich noch sehr gut an sie erinnern , obwohl sie meistens mit Alf unterwegs war.“
„Wie würden Sie Tina Hofer charakterisieren?“, wollte Velten wissen.
„Unglaublich engagiert, guter Schreibstil, freundliches Wesen, eigensinnig.“ Kreutzer ging einen Moment in sich. „Sie war unglaublich einfallsreich und kam ständig mit Vorschlägen für neue Storys zu mir und Alf Kuntz. Ihr Sinn für Gerechtigkeit stand ihr allerdings manches Mal im Weg. Wann immer sie irgendwo ein Unrecht witterte, juckte es ihr in den Fingern und sie wollte mindestens einen Dreispalter aus der Sache machen.“
„Klingt so, als sei sie ziemlich anstrengend gewesen“, meinte Katja.
Er lächelte: „ So würde ich es nicht formulieren. Sie gehörte zu den Mitarbeitern, die man eher bremsen als anstacheln muss. Das hatte sie mit Ihnen gemeinsam, Frau Marcks.“
„Sie sind heute schon der Zweite, der mich mit ihr vergleicht.“
„Glauben Sie mir, es gibt Schlimmeres. Tina Hofer war wirklich eine Hoffnungsträgerin. Ihr Verlust war ein schwerer Schlag, nicht nur menschlich. Wir haben uns lange nach einem Nachfolger umgesehen, der ähnlich anstrengend ist wie sie, und haben die Stelle dann nicht ohne Grund mit einem wirklich nervtötenden jungen Mann besetzt. Der Nachwuchsjournalist, für den wir uns schließlich entschieden haben, hat sich im Lauf der Jahre zu einem ganz passablen Redakteur entwickelt.“ Sein Seitenblick auf Velten machte deutlich, wen er damit meinte.
Katja blieb ernst: „ Alf Kuntz hat sie als impulsiv und eigensinnig beschrieben.“
Der Chefredakteur zog die Augenbrauen zusammen: „Ihr ward bei Alf?“
Velten erzählte Kreutzer, dass sie sich bei dem ehemaligen Kurier -Journalisten über die damaligen Diskussionen zum Industriepark informiert hatten. „Nur aus Neugier und weil ich gerne auch Ihre Version hören möchte: Warum hat sich der Verlag damals von Kuntz getrennt?“
„ Alf war ein wenig zu sehr hinter dem Geld her. Und irgendwann war nicht mehr zu übersehen, dass sein Lebensstil nicht mehr mit seinem Gehalt in Einklang zu bringen war. Teure Uhren, kostspielige Urlaubsreisen, eine große Wohnung. Er konnte oder wollte uns nicht erklären, wie er sich all das leisten konnte.“
„ Uns hat er erzählt, dass er durch das Erbe seiner Eltern zu sehr viel Geld gekommen sei.“
„Das war später“, erklärte Kreutzer. „Nach dem Geldsegen eskalierte die Sache allerdings. Er ging auf Kollisionskurs zur Verlagsleitung. Nach meiner Meinung hat er es darauf angelegt, mit einer Abfindung hinausgeworfen zu werden. Es ist schade um ihn, er war ein guter Journalist, jedenfalls bevor er durchdrehte.“
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Die ersten Mitarbeiter verließen bereits das Pressehaus, als Katja und Velten auf dem Weg zu ihrem Büro waren. Kurz vor ihrem Arbeitszimmer blieb Katja auf dem Flur stehen und betrachtete das Foto Tina Hofers, das Seite an Seite mit den Aufnahmen ehemals wichtiger Repräsentanten der Zeitung in der sogenannten Ahnengalerie hing.
„Sie war ungefähr so alt wie ich, als sie starb. Je mehr ich über sie erfahre, desto näher ist sie mir.“
„Geht mir ähnlich“, gab Velten zu.
Sie lächelte: „Ich weiß. Du nennst sie oft nur Tina, obwohl du ihr nie begegnet bist.“
„Tatsächlich? Wie auch immer, wir haben jetzt die große und vielleicht letzte Chance, ihr Schicksal aufzuklären. Und wir sollten alles tun, damit uns das auch gelingt.“
Katja nickte ernst: „Das sind wir Tina schuldig.“
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Velten und Katja begannen den Mittwoch mit dem Studium von Tina Hofers Personalakte. Renate Knab hatte die Unterlagen aus den Tiefen des Archivs zutage befördert. Sie enthielten neben den üblichen,
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