Venedig sehen und stehlen
fast so aus, als wunderten sie sich, dass er noch lebte.
»Ciao, Harry«, flötete Roberto.
Beat, der wieder sein currygelbes Jackett mit den großen Karos trug, nickte ihm nur freundlich zu.
»Na, Signor Oldenburg, ist doch richtig?«, fragte der Schneverdinger Gymnasiallehrer für Sport und Latein gönnerhaft. »Wie war der erste Eindruck von der Biennale?«
»Sehr schön«, sagte Harry. »Aber ich hatte ja auch eine charmante Führung.«
»Wir hatten ja schon vorab eine erste Besichtigung, bevor die Esposizione überhaupt eröffnet wurde. Ich kenne den Kurator, Signor Oliva, gut. Er hat mit uns und ein paar anderen eine spezielle Führung gemacht. Die Künstler waren natürlich auch dabei.«
»Wir haben es praktisch zuerst gesehen«, bestätigte Britt stolz.
»Die jungfräulichen Exponate, das ist ein ganz besonderes Erlebnis, incredibile« , schwärmte Giovanni-Dieter und fuhr selbstverliebt die Tennisballlinie seines Bartes entlang. »Danach beginnt dann der Rummel für die Touristen. Wissen Sie, die eigentliche Biennale ist vorbei, wenn sie eröffnet. Die wichtigen Leute sind abgereist. Die Händler, die Kuratoren von Tate oder MoMA.« Dabei setzte der Lehrer sein Kunsttheoretikergrinsen auf. Er sah aus wie ein Frosch, der ein Rieseninsekt quer im Maul hatte.
»Na, wir sind ja noch da und unser amerikanischer Freund auch noch«, wandte Beat mit schief gelegtem Kopf ein.
»Sì, certamente. «
»Giovanni hat uns heute Abend einen Tisch bei Bruno im ›Alle Testiere‹ bestellt. Was ist mit dir Harry?«, fragte Britt.
»Eine süße kleine Osteria«, schwärmte Roberto.
»Bruno macht den besten Fisch der Stadt«, konstatierte Giovanni.
»Wissen Sie, Venedig ist nicht gerade berühmt für seine Küche«, sagte Beat, der sich bei kulinarischen Themen immer mal zu Wort meldete.
»Aber die Linguine mit Seeteufelragout von Bruno sind ein kleiner Traum«, unterbrach Britt ihn sofort.
Harry zögerte. »Wer kommt denn alles mit?«, fragte er möglichst unschuldig.
Britt zuckte mit den Augenbrauen und grinste erst ihn und dann Doris an. »Da will sich einer seine Abendgesellschaft aber ganz genau aussuchen.«
»Die letzte Nacht ist unserem jungen Freund aus Amerika offensichtlich nicht so gut bekommen?«, bemerkte Hans-Dieter hämisch.
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Britt. »Deine Freundin Franca ist nicht dabei.«
Harry versuchte sich locker zu geben. »Das war gestern offensichtlich ein Sprizz zu viel für mich.«
Darauf konnte sich nicht einmal Beat ein Grinsen verkneifen.
»So schnell lässt unsere Franca nicht locker.«
»Wann sie mit ihren Männern fertig ist, das möchte sie gerne selbst bestimmen«, orakelte Doris mit sanfter Therapeutenstimme.
»Ich möchte einen Abend lang bitte mal nicht diesen Namen hören!« Giovanni-Dieters meckernde Stimme wurde lauter.
»Was ist los mit dir?«, fragte Britt. »Einen schlechten Tag erwischt? Du siehst nicht gut aus.«
»Nun lass doch«, beschwichtigte Doris. »Wir können nicht alle immer nur gut drauf sein. Aber du siehst tatsächlich blass aus. Ist etwas? Vielleicht magst du es einfach erzählen. Möchtest du darüber reden? Nur wenn du magst.«
»Lasst mich doch einfach mal in Frieden!«, bellte Giovanni im Kasernenton.
»Er ist etwas angespannt«, sagte Roberto und strich sich seine Tolle aus dem Gesicht. »Aber ich finde diese Frau ja auch wa-a-ahnsinnig anstrengend, molto capricciosa. «
Das »Alle Testiere« war ein winziges Lokal im Stadtteil Castello in einer schmalen Gasse unweit der Piazza San Marco. Es hatte wohl nicht mal vierzig Plätze an kleinen Tischen, die eng gestellt und nur mit Sets und schlichten edlen Weingläsern eingedeckt waren. Man saß auf einfachen alten Stühlen. An den Wänden hingen schmiedeeiserne Bettgestelle, die dem Restaurant den Namen gaben. Die Einrichtung war spartanisch, aber die Preise auf der handgeschriebenen Speisekarte waren üppig.
Hans-Dieter und Roberto wurden auch hier wieder wie alte Bekannte begrüßt. Der kahlköpfige Sommelier Luca warf ihnen Küsschen zu, und Bruno winkte überschwänglich aus der Küche.
»Bruno hat heute gnocchi gemacht, dazu kleine Tintenfischchen. Ganz zart. Sie zergehen auf der Zunge. Was haltet ihr davon?«
»Ich liebe Tintenfisch«, sagte Britt mit kehliger Schauspielerstimme. »Aber für mich bitte nur eine halbe Portion. Mezza porzione. « Britt bestellte überall nur halbe Portionen und später eine zweite halbe.
»Ich habe ein Haiku über den Tintenfisch
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