Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
Vom Netzwerk:
Mietwohnung lag in Cannaregio. Aber Hans-Dieter wohnte auf der anderen Seite des Canal Grande im vornehmeren Dorsoduro ganz in der Nähe der Zattere. Francas Appartment lag genau gegenüber. Denn in ihrem Atelier, wo sie gestern Nacht waren, wohnte sie eigentlich nicht.
    Giovanni-Dieters Wohnung war ein Minipalazzo. Um alles etwas großzügiger zu gestalten, hatte er verschiedene Wände herausgerissen, wie er Harry haarklein beschrieb.
    »Die ganze Wohnung war eine Ruine. Ich musste praktisch alles völlig neu aufbauen. Und das mit italienischen Handwerkern! Terribile! Signor Harry, ich könnte Ihnen Sachen erzählen. Die Italiener sind einfach nicht in der Lage … wozu erzähle ich Ihnen das eigentlich?« Er drückte auf die Starttaste an einem CD-Player.
    »Der Italiener bekommt doch nichts auf die Reihe.«
    »Was ist mit Tintoretto und Tizian?«, wandte Harry ein, dem dieser Kleinkrämer langsam auf die Nerven ging.
    »Na ja sicher, Tintoretto!« Hans-Dieter betonte den Namen besonders italienisch.
    »Oder Verdi?« Harry deutete zur Musikanlage.
    »Die Callas. 1957 in der Scala«, meckerte Giovanni.
    Seine Wohnung hing voller Leuchter aus Muranoglas. Es gab ein ganzes Sortiment bunter Glastiere, aus der Werkstatt von Roberto, vermutete Harry. Zwischen verschiedenen Reptilien, Echsen und Schlangen erhob sich ein großer türkiser Glaskarpfen mit gewaltigen Flossen, in denen sich das Blaugrün in einem milchigen Weiß verlor.
    Die Tische und Stühle waren nachgemachte venezianische Stilmöbel. Nur ein paar chromglänzende Hanteln, die im Schlafzimmer herumlagen, passten nicht in das Bild. Aber Harry registrierte das nur am Rande, denn eine Sache wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Beim Bezahlen eben im Restaurant hatte er bemerkt, dass das Schwarzweißfoto von Zoe vor dem Flatiron Building nicht mehr in seiner Brieftasche steckte. Gestern Nacht war es noch da gewesen. Und er hatte es inzwischen nicht herausgenommen. Da war er sich sicher.
    Wo, verdammt, war das Foto von Zoe? Er hatte es doch nicht etwa bei Franca im Atelier verloren oder, schlimmer noch, beim Abtransport der Leiche? Das durfte einfach nicht wahr sein. Harry konnte Hans-Dieters Ausführungen kaum folgen.
    Die Wegbeschreibung allein war schon kompliziert genug, ein Hin und Her an Kanälen und Fondamenti entlang, durch ein Labyrinth von Calle und Sottoporteghi. Aber das war nichts gegen die Instruktionen für die Wohnung. Giovanni-Dieter bombardierte ihn mit Beschreibungen von Schaltern, Hebeln und Reglern, die in einer bestimmten Reihenfolge zu betätigen waren, um den Herd oder den Gasboiler in Gang zu setzen. Er instruierte ihn, wo verschiedene Zähler vor und nach der Nutzung des Appartments abzulesen waren und wie der Außenborder in Gang zu bringen war, falls er das zur Wohnung gehörende Motorboot benutzen wollte.
    »Signor Oldenburg, achten Sie bitte darauf, dass die Fenster und Balkontüren verschlossen sind, wenn Sie die Wohnung verlassen.«
    Eigentlich war es ganz schön lächerlich, dass dieser Typ aus einem Kaff in der Lüneburger Heide ihn ständig mit Signore anredete.
    ». und der Marmortisch im Wohnzimmer ist sehr, sehr empfindlich. Nehmen Sie doch bitte Untersetzer für Flaschen und Gläser. Sie finden sie in der Küche. Es sind kleine Dinge. Aber Sie machen es uns allen einfacher.«
    Harry bereute es schon fast, das Angebot mit der Wohnung angenommen zu haben. Selbst seine Trinkgewohnheiten wollte ihm dieser Spießer noch vorschreiben.
    »In der Küche steht ein Grappa aus Bassano del Grappa, das ist nicht weit von hier, qualcosa di speciale. Den müssen Sie unbedingt probieren.« Harry nickte abwesend.
    »Aber lassen Sie noch etwas für die nächsten Gäste übrig!« Soll der Oberlehrer seinen blöden Grappa doch alleine trinken, dachte Harry.
    Als Giovanni ihm das Leid mit seinem Klempner klagte, der in den nächsten Tagen vorbeikommen sollte, um den Boiler zu richten, wurde auf dem Balkon des gegenüberliegenden Hauses die Tür geöffnet. Es war Franca, die auf dem Balkon erschien und zu ihnen herüberwinkte. Sie hatte Harry natürlich bemerkt und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, gleich zu ihr herüberzukommen.
    »Das war genau das, was ich heute Abend vermeiden wollte«, murmelte Harry.
    Hans-Dieter zuckte die Achseln und fuhr mit dem Zeigefinger seinen Bartstrich am Kinn entlang.
     
    Als sich Harry klammheimlich über die dunkle Calle wegstehlen wollte, rief ihm Franca etwas aus dem gegenüberliegenden Hauseingang zu.

Weitere Kostenlose Bücher