Venedig sehen und stehlen
sah aus wie ein Hippiemädchen, das in die Jahre und zu Geld gekommen war, ein Prada-Hippie. Die Haare trug sie immer noch wie eine Fünfundzwanzigjährige. Gerade mit den grauen Strähnen sah das toll aus, fand Harry.
»Ich hab heute zwei fantastische alte Türen für mein Buch fotografiert. Und dann hatten wir eine exklusive Führung in Robertos Glasbläserwerkstatt. Du weißt, Giovannis kleiner italienischer Freund.«
»Das ist doch wichtig, und ich finde es schön, dass der Hans-Dieter sich jetzt auch zu dieser Seite in sich bekennt«, stellte Doris fest.
»Nur seine Frau Gisela daheim in Schneverdingen darf es auf keinen Fall erfahren.«
Harry empfand diesen Klatsch als richtig wohltuend. Das war so wunderbar harmlos nach dieser Nacht.
»Er hat in unserem Beisein ein paar Gläser geblasen. Toll.«
»So ganz zart. Schööön«, sagte Doris und rührte in ihrem Cappuccino. »Das zu sehen ist ein ganz besonderes Erlebnis. Er hat vor unseren Augen einen Schwan gemacht.«
»Doris hat sich einen Schwan gewünscht.«
»Ja, ein Schwan, schööön.«
Harry bestellte sich ein Tramezzino zu seinem Cappuccino und erzählte den beiden, dass er seine amerikanische Frau übermorgen in Venedig erwarte. Dann zündete er sich eine Chesterfield an.
»Sie will wohl nach dem Rechten sehen, dass du hier keine Dummheiten machst?« Britt zuckte mit den Augenbrauen und hob scherzhaft den Zeigefinger.
»Aber wir können schweigen, nicht wahr Doris?«
»Therapeuten sind für ihre Verschwiegenheit bekannt.« Doris machte ein betont ernstes Gesicht. Aber ihre Augen hinter der bunt gefleckten Brille lachten.
Dann schlenderten sie zu dem Biennale-Gelände, den Giardini, die gleich um die Ecke lagen.
Zuallererst wollte Harry natürlich den deutschen Pavillon sehen, der in diesem Jahr den »Goldenen Löwen« gewonnen hatte. Der Künstler Hans Haacke hatte die Steinböden aus dem deutschen Pavillon, der während des Faschismus gebaut worden war, herausgerissen und den Hauptraum in ein regelrechtes Trümmerfeld verwandelt. Nachdem der Besucher den monumentalen Säuleneingang, über dem der Schriftzug »Germania« prangte, passiert hatte, stand er auf gebrochenen hin und her kippelnden Steinplatten. Jeder Tritt war unsicher und hallte von den Wänden wieder.
»Spannend. Oder?« Die kleine Doris blinzelte freundlich zu Harry hoch.
»Ist das nicht toll«, rief Britt Benning laut durch den Raum, während sie über die Steinplatten tänzelte, »ich bin ja schon zum dritten Mal hier!«
»Wir stehen unsicher auf den Trümmern unserer deutschen Geschichte«, sagte Doris.
»Ja, ein gutes Bild«, fand Harry.
»Aber du bist ja gar kein richtiger Deutscher mehr.«
»Na ja, ein richtiger Amerikaner auch nicht.«
Sinnierend machte er ein paar Schritte über den Steinbruch. Man ging wie über ein Geröllfeld bei einer Bergtour. Großartig. Aber dann erinnerte ihn der staubige Boden gleich wieder an Francas Atelier und er musste sofort an den toten Carlo im »GESSO«-Sack denken.
»Was heute alles so als Kunst bezeichnet wird«, schnaubte ein Mann beleidigt seiner Frau zu, während er an ihnen vorbeimarschierte. Es war ein anderer als gestern bei der Installation im Keller. Aber er trug auch einen khakifarbenen Anzug.
Zusammen mit Britt und Doris schlenderte Harry über das Giardini-Gelände. Er ließ sich von den beiden die Lage der Pavillons, in denen die einzelnen Nationen alle zwei Jahre ihre Wettbewerbsbeiträge ausstellten, erklären. Er war während der Studienzeit mal mit seiner damaligen Freundin Maja hier gewesen. Aber so genau erinnerte er sich nicht mehr. Die Häuser waren alle verschieden. Aber irgendwie passten sie zu den jeweiligen Ländern. Der amerikanische Pavillon sah aus wie eine Miniaturausgabe des Capitols, der russische wie ein kitschiger kleiner Kreml und die skandinavischen wirkten ganz schlicht unprätentiös, wie die funktionale offene skandinavische Architektur der Nachkriegszeit.
Im Ausstellungsgebäude des ehemaligen Jugoslawien hatten sieben internationale Künstler »Friedens-Maschinen« installiert. Und im japanischen Pavillon zwischen den Spiegeln, stilisierten Kürbissen und gepunkteten halluzinatorischen Gebilden der japanischen Popartkünstlerin Yayoi Kusuma hatte Harry das Gefühl, die Hawaiianische Holzrose würde noch einmal nachwirken.
Im amerikanischen Pavillon trafen die drei auf Britts Mann Beat, Giovanni-Dieter und den schönen Roberto.
Alle drei sahen ihn prüfend an. Es sah tatsächlich
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