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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
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Notgedrungen ging er zu ihr hinüber. Er musste wenigstens kurz mit ihr reden, ihr nur erklären, dass er heute Abend in seine Pension wollte. Er wollte ihr sagen, dass es eine aufregende Nacht mit ihr war und dass es vielleicht besser wäre, wenn es dabei bleiben würde. Doch er bekam keine Chance, überhaupt nur ein Wort zu sagen. Sie zerrte ihn sofort in den dunklen Hauseingang, zog ihn entschlossen zu sich heran und küsste ihn heftig. Er war augenblicklich von ihrem Kokosduft umnebelt. Harry küsste sie etwas halbherzig und dann entzog er sich ihr.
    »Franca, ich möchte heute..«
    »Pssst.« Sie legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen und wollte ihn weiter küssen.
    »Nur auf einen Drink«, sagte sie, als Harry sich weigerte. »Wir sind jetzt schließlich Komplizen. Wir müssen uns absprechen, wie wir uns verhalten wollen. Venga! « Sie zog ihn an der Hand die Treppe nach oben zu ihrem Appartment.
    Im Gegensatz zu Hans-Dieters Wohnung waren Francas Zimmer fast unmöbliert. In dem Raum mit der Balkontür befand sich nur ein altes Stahlrohrbett und eine Plastik, die wahrscheinlich auch von Franca war, aber weniger monströs wirkte. Am Fenster stand ein Stativ mit einer Kamera. Das große Objektiv war ganz eindeutig auf die Wohnung von Hans-Dieter gegenüber gerichtet, aus deren offenen Fenstern die Stimme der Callas herübertönte. Seltsam, dachte Harry. Aber vielleicht auch nur ein Zufall. In der kargen nur mit einer Glühbirne ausgeleuchteten Küche, in der Herd, Kühlschrank und ein Tisch mit Stahlrohrbeinen standen, spülte sie in dem voll gestellten Becken notdürftig zwei Gläser und füllte sie zu einem Viertel mit Wodka.
    »Aber wirklich nur ein Drink«, sagte Harry. Er war fest entschlossen, hier gleich wieder zu gehen. »Ich bin von gestern noch ziemlich fertig.«
    »Gegen Müdigkeit gibt es Mittel«, sagte sie und setzte ihren herausfordernden Blick auf.
    »Nein, wirklich nicht, keine Mittel, nicht heute Nacht.«
    Bald kam Zoe. Und überhaupt, er wollte hier nichts wie weg.
    »Harry, caro, hast du es gar nicht bemerkt? Ich hab mir meine Haare anders gemacht für dich. Du siehst mich gar nicht an. Gestern Abend konntest du dich nicht satt sehen.«
    Er hatte es tatsächlich nicht bemerkt. Sie war nicht so frisiert wie gestern, eher etwas verzottelt. Am Vortag hatten ihre Haare noch wie in einer Shampoo-Reklame ausgesehen. Als er Franca ansah, wie sie in ihrem schwarzen Shirt und dem schwarzen Leinenjackett im Schein der Glühbirne an den alten Kühlschrank gelehnt dastand, lief ihm ein Schauder über den Rücken. Es war nicht nur die Mundpartie, jetzt waren es auch die Haare und die schwarzen Klamotten. Franca sah fast aus wie Zoe auf dem Foto vor dem Flatiron.

10
    Der Aeroporto Marco Polo kam Harry heute noch kleiner vor als bei seiner Ankunft vor zwei Tagen. Venedig ist weltberühmt und voller Touristen aus aller Herren Länder. Aber eigentlich ist es eine Kleinstadt. Er war morgens mit der Alilaguna von der Anlegestelle Arsenale zum Flughafen gefahren, um Zoe in Empfang zu nehmen. In der Wartehalle herrschte schon Hochbetrieb. Japanische Touristen mit beängstigend großen Rucksäcken und voluminösen Plakatrollen, Amerikanerinnen mit Riesensonnenhüten und eine deutsche Reisegruppe, die sich über den hohen Preis des Wasserbusses beschwerte. Harry war direkt etwas aufgeregt. Er hatte Zoe gerade mal vier Tage nicht gesehen. Aber das war länger als sonst irgendwann in den letzten drei Jahren, seit Harry in den USA lebte. Und sie hatten sich im Streit getrennt.
    Die Anzeigetafel für die ankommenden Flüge, die alle paar Minuten mit einem surrenden Tickern der Buchstabenschilder aktualisiert wurde, hatte er direkt im Blick. Der Flug Alitalia 227 aus Milano war schon angezeigt, aber noch nicht gelandet. Nach einem Espresso im Stehen und einem weiteren Tickern der Anzeigetafel blinkte eine rote Lampe hinter Alitalia 227. Zoe musste gelandet sein, wenn sie denn in der Maschine aus Mailand gesessen hatte. Seine Unsicherheit wuchs.
    Bevor er zum Flughafen gefahren war, hatte er in der »Pensione Rosa« ausgecheckt. Zusammen mit Zoe wollte er gleich Hans-Dieters Wohnung in Cannaregio beziehen. Vorgestern war er wider Erwarten recht zügig bei Francesca weggekommen. Er hatte sich auf gar keine Diskussionen eingelassen, was sonst nicht unbedingt seine Art war. Aber er hatte einfach seinen Wodka hinuntergekippt, hatte sie flüchtig auf beide Wangen geküsst und war gegangen. Sie war stinksauer gewesen.

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