Venetia und der Wuestling
gepackt und Betty gebeten, ihn zuzuschnüren und ihn mit der Paketpost zu schicken - sobald ich schreibe, um Ihnen meine Anschrift mitzuteilen, denn ich kann ja nicht mehr als eine Reisetasche in der Postkutsche mitnehmen, wie Sie wissen."
„Hör zu, Veneria - warte doch bloß, bis wir deinen Onkel um Rat fragen können!", sagte Mrs. Hendred fieberhaft. „Er wird morgen zum Frühstück daheim sein - oder er kann vielleicht sogar schon heute Abend kommen! Schau, bitte, bitte ..."
„Nicht um alles in der Welt!", sagte Venetia, und Gelächter zitterte in ihrer Stimme.
„Ich bin meinem Onkel sehr dankbar, aber der bloße Gedanke, dass ihm wieder etwas anderes einfallen könnte, um mich vor meinem liebsten Wüstling zu retten, versetzt mich in Angst und Schrecken!"
„Warte, liebes Kind! Ich habe einen sehr guten Einfall. Wenn du entdeckst, dass sich deine Zuneigung nicht geändert hat, bis du Zeit gehabt hast, mehr von der Welt zu sehen - nein, nein, so hör doch nur! -, will ich nicht ein Wort gegen diese grässliche Heirat sagen! Aber Lord Damerei würde dir ja selbst sagen, dass es noch viel zu früh ist, dass du dich bindest! Dein Onkel soll sich etwas ausdenken, was alles gutmacht, das heute geschehen ist, und ich werde Theresas Debüt auf den Frühling verlegen und stattdessen dich in die Gesellschaft einführen!"
„Oh, die arme Theresa!", rief Venetia aus und lachte laut auf. „Wo sie doch schon die Tage bis dahin zählt!"
„Sie kann gut noch ein Jahr warten", sagte Mrs. Hendred resolut. „Ja, ich neige sehr zu der Ansicht, dass sie es sogar sollte, denn ich habe unlängst abends einen Fleck auf ihrem Gesicht bemerkt, und weißt du, meine Liebe, wenn sie in diese ärgerliche Art verfällt, die junge Mädchen an sich haben, immer dann Pusteln zu kriegen, wenn man besonders wünscht, dass sie am besten aussehen, dann wäre es einfach nutzlos, sie schon nächstes Jahr herauszubringen! Nun, was sagst du dazu?"
„Grässlich!", antwortete Venetia und rieb ihre Wange leicht an der ihrer Tante, bevor sie sich aus dem Griff an ihrem Ärmel losmachte und zur Tür ging. „Lange bevor die Saison zu Ende ist - wenn nicht sogar bevor sie anfängt -, wäre Damerei weiß der Himmel wo und würde Rosenblätter für irgendein loses Frauenzimmer herumstreuen, damit sie drauftreten kann! Nun, zu einem jedenfalls bin ich entschlossen! Wenn er schon solchen verschwenderischen Gewohnheiten frönen muss, dann soll er seine Rosenblätter für mich herumstreuen und nicht für eine seiner lächerlichen Kurtisanen!" Sie warf ihrer Tante eine Kusshand zu und war im nächsten Augenblick fort.
20. KAPITEL
Venetia erreichte York mitten am Nachmittag des folgenden Tages, da die Postkutsche durch Nebel in und um London beträchtlich aufgehalten worden war. Wenn Venetia diesmal auch viel besser aufgelegt war als auf ihrer Hinreise, so war sie dafür bei Weitem erschöpfter. Sie stieg aus der Kutsche mit dem Gefühl, total zerschlagen und zerzaust zu sein. Statt unverzüglich eine zweispännige Kutsche zu mieten, die sie zur Priory bringen sollte, wie es ihre Absicht gewesen war, bestellte sie ein Schlafzimmer, etwas heißes Wasser und Tee. So eifrig sie darauf bedacht war, das Ziel ihrer Reise zu erreichen, wünschte sie denn doch nicht, in der Priory in einem verdrückten Kleid, mit ungewaschenem Gesicht und ungebürstetem Haar anzukommen. Als das Stubenmädchen sie im Gasthof in ein leeres Zimmer führte, genügte ein Blick in den Spiegel, sie in dem Glauben zu bestärken, dass keine Dame, wie hübsch auch immer sie war, über zweihundert Meilen in einer Postkutsche reisen konnte, die mit sechs Passagieren voll besetzt war, ohne an ihrem Bestimmungsort in einer sehr unhiibschen, mitgenommenen Verfassung anzukommen.
Sie hatte das Glück gehabt, in so kurzer Frist doch noch einen Sitz buchen zu können; es war natürlich kein Eckplatz, und sie war bald draufgekommen, dass zwischen einer privaten Reisekutsche und einer Postkutsche ein weltweiter Unterschied lag. Im Unterschied zu zweien ihrer Mitpassagiere, die die ganze Nacht hindurch abscheulich schnarchten, war sie nicht imstande gewesen zu schlafen. Und als den Reisenden zur Frühstückszeit eine Pause von zwanzig Minuten gegönnt wurde, konnte sie gerade nur zwei Schluck lauwarmen Kaffees zu sich nehmen, bevor sie auch schon wieder aufgefordert wurde, ihren Platz in der Postkutsche einzunehmen, denn sie hatte fünfzehn Minuten warten müssen, bis der gehetzte Kellner die
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