Venus allein zu Haus
inne. Sonst noch was? Als ich aufblicke, sehe ich Sophia, die mir jetzt gegenübersitzt und mit einem Gesichtsausdruck den Kopf hin- und herwiegt, dass es einem angst und bange werden kann.
»Was?«, frage ich aggressiv.
»Du flüchtest dich in die Sachlichkeit, Helen«, sagt sie sanft, »um deinen Schmerz nicht fühlen zu müssen. Nach dieser langen Zeit kann das doch nicht …«
»Ich fühle meinen Schmerz sehr wohl«, herrsche ich sie an, »ich muss ihn nicht noch zu Papier bringen und signieren. Jan ist schwul und wird nie wieder zurückkommen. Daran ändere ich auch nichts, wenn ich ihm jetzt die Ohren voll heule.«
»Du sollst das ja auch nicht für ihn tun, sondern für dich.«
»Lass mich in Ruhe! Wo ist überhaupt Lara?«
»Hier«, erklingt es von der Tür und Lara und Manuel
betreten gemeinsam die Küche. Na so was, ich habe die Türklingel gar nicht gehört. »Mit wem redest du?«
»Ach, mit niemandem.« Zweifelnde Gesichter. »Mit mir selbst.« Klingt immer noch besser als »mit meiner inneren Therapeutin«.
»Hi Helen«, sagt Manuel verlegen und gibt mir links und rechts ein Küsschen auf die Wange. »Tut … tut mir echt Leid wegen Jan.«
»Ja, danke, schon gut«, antworte ich, »hoffentlich bist du ihm in letzter Zeit nicht zu nahe gekommen. So viele Schwule, wie ich in letzter Zeit gesehen habe, da könnte man fast meinen, das sei ansteckend.« Wir bringen alle drei ein schiefes Grinsen zu Stande, nur Sophia bemerkt mit unbeweglicher Miene:
»Du benutzt schon wieder Humor, um zu überspielen, wie unwohl du dich fühlst.«
»Möchtest du noch einen Kaffee trinken, Manu?«
»Gerne.«
»Wie verletzt du bist. Wie einsam.« Sophia lamentiert weiter, bis ich Manuel einen Pott Kaffee in die Hand drücke und er sich mitten auf Sophias Schoß setzt. Sie stößt einen empörten Laut aus und verschwindet.
»Na, da habe ich ja ganz schön was zu schleppen«, sagt Manu mit einem Blick auf die Kartons, Koffer und Reisetaschen.
»Wir tragen ja auch was mit«, sagt Lara beschwichtigend.
»Den Teufel werdet ihr«, knurrt er und legt ihr besitzergreifend den Arm um die Hüften, »ich lasse doch nicht zwei zarte Frauen Umzugskartons schleppen.« Das ist wirklich süß von ihm. Lara strahlt denn auch über das ganze Gesicht, beugt sich zu ihm herunter und schnurrt:
»Mein starker Held.« Der starke Held grinst, zieht sie
fester an sich und küsst sie leidenschaftlich. Da ich nicht weiß, wo ich hingucken soll, wende ich mich meinem Abschiedsbrief zu und lese ihn noch mal durch. Ja, ein bisschen sachlich vielleicht, aber was soll ich denn bitte anderes schreiben? Ich fühle mich furchtbar, mein Leben ist leer ohne dich? Komm zurück, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, der Mann deiner Träume zu werden? Nein, dann doch besser so. Mit Schwung schreibe ich GRUSS HELEN darunter. Lara und Manuel knutschen immer noch. Wie paralysiert starre ich sie an und kann den Blick auch dann nicht abwenden, als eindeutig Zungen in Aktion treten. Jetzt öffnet Lara halb die Augen, bemerkt meinen Blick und löst sich schnell von ihrem Liebsten.
»Entschuldigung, Helen, das ist nicht sehr taktvoll von uns, es tut mir Leid.«
»Ja, sorry«, macht auch Manu auf zerknirscht.
»Schon gut«, winke ich lässig ab.
»Tja, dann wollen wir mal.« Während die beiden die Küche verlassen, nehme ich kurz entschlossen noch einmal den Stift zur Hand. PS: UNTERSTEH DICH, AUCH NUR AUF/UNTER/AN EINEM EINZIGEN MEINER MÖBEL-STÜCKE MIT EINEM MANN ZU POPPEN!!!
Berühmte letzte Worte.
Es ist wie in einem meiner Albträume. Nur dass es diesmal die Realität ist. Ich sitze im stilvoll eingerichteten Esszimmer meines Vaters an der langen, akkurat gedeckten Tafel mit dem teuren Geschirr und den hauchdünnen Weingläsern. Die zwei Kerzenleuchter sollen Wärme und Gemütlichkeit spenden, mir ist trotzdem eiskalt. Nichts, aber auch gar nichts wird jemals die eisige Atmosphäre dieses Haushalts erwärmen. Am Kopfende thront mein Herr Papa, groß, schlank, mit grauen Schläfen, hellen, wachen
Augen und einem hageren, markanten Gesicht. Ja, er sieht gut aus für seine Mitte fünfzig. Ein Mann von Welt, der seinen Wert kennt, der viel Geld verdient, der es gewohnt ist, Befehle zu geben. Links neben ihm sitzt die Frau, die seine Befehle gewöhnlich ausführt, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne zu hinterfragen, ob es wirklich sinnvoll ist, was er da von ihr verlangt. Angela. Neununddreißig Jahre alt und dank
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