Venus allein zu Haus
Teppiche.« Jaja, ich weiß. Tote Materie war in diesem Haus von jeher wichtiger als Lebewesen irgendwelcher Art. Und die Zierfische in dem großen Aquarium im Wohnzimmer erhalten ihr Futter auch nur deshalb, weil sie so entzückend schimmern und gut zu den Gardinen passen.
»Helena, hast du schon einen Nachsendeauftrag bei der Post gestellt?«, ist die erste Frage, die mein Vater an mich richtet.
»Das tue ich morgen als Erstes«, versichere ich.
»Und, ja, hm«, er räuspert sich vernehmlich, »die geplante
Hochzeit ist ja nun vom Tisch, nehme ich an?« Alle Augen richten sich plötzlich auf mich, die ich feuerrot werde und stammele:
»Ja, das siehst du richtig.«
»Ich werde mich um alles kümmern, Liebes«, sagt Angela, »du brauchst dich nicht damit zu befassen.«
»Danke, nicht nötig«, flüstere ich und starre auf meinen Teller. Wenn sie sich darum kümmert, dann muss ich auf ewig dankbar dafür sein.
»Wir müssen den Festsaal absagen und den Kirchentermin, die Gäste müssen ausgeladen werden«, zählt Angela auf und ich werde kleiner und kleiner. Dabei bin ich eigentlich gar nicht schuld an meiner eigenen Voreiligkeit. Ist doch wahr. Tatsächlich war es nämlich so, dass ich mich, als ich meiner Familie die Verlobung bekannt gegeben habe, das erste Mal anerkannt gefühlt habe. Geschätzt, ja, vielleicht sogar geliebt. Beinahe so, als hätte ich nun doch noch das Klassenziel erreicht. Und deshalb habe ich mich mit Angela sofort mit Feuereifer in die Vorbereitungen gestürzt.
»Was das wieder kosten wird«, brummelt mein Vater und ich werde noch eine Spur röter. Wahrscheinlich sehe ich mittlerweile aus wie ein frisch gekochter Hummer. Ich würge verzweifelt an dem Kloß in meinem Hals herum. »Ich bezahle natürlich die Stornogebühren und alles andere«, sage ich möglichst ruhig.
»Das wirst du nicht tun.« Natürlich ist mein Vater dagegen. Denn dann könnte er mir ja keine Vorwürfe mehr machen. »Als Brautvater zahle ich die Hochzeit meiner Töchter. Das schließt die Kosten mit ein, die entstehen, wenn du dich für den falschen Mann entscheidest.«
»Wie die Mutter, so die Tochter«, sage ich leise.
»Wie bitte?«
»Nichts.« So weit, dieses Statement zu wiederholen, geht mein Mut doch nicht.
»Nun gut«, lässt mein Vater die Sache auf sich beruhen, um gleich zum nächsten Schlag auszuholen, »und hast du dir schon die Wohnungsanzeigen in der Zeitung angesehen, Helena?« Alles klar. Ich verstehe schon. Auch wenn ich gerade mal zwei Stunden hier bin, wird es langsam Zeit für mich, wieder die Biege zu machen.
»Das mache ich gleich nach dem Essen«, sage ich erstickt und füge todesmutig hinzu: »Außerdem heiße ich Helen.« Was, wie ich zugeben muss, nicht ganz der Wahrheit entspricht. Laut Personalausweis bin ich Helena Margret Ramien. Aber wie die Göttin der Schönheit zu heißen ist nicht so erhebend, wie es klingen mag. Nein, es kann ein Fluch sein, wenn sich im Geschichtsbuch im Kapitel »Griechische Mythologie« eine Abbildung jener Tochter von Zeus befindet und jeder in der Klasse im Vergleich meine Unzulänglichkeit ihr gegenüber erkennen kann. Das Einzige, was ich zu diesem Zeitpunkt mit ihr gemeinsam hatte, war der allmächtige, untreue Vater. In diesem Moment wusste ich: Ein neuer Name muss her. Und so sehr ich meine Großmutter, der ich meinen zweiten Vornamen verdanke, liebe: Margret kam nicht in Frage. Und so ist Lara auf die Idee gekommen, mich Helen zu nennen.
»Das wüsste ich aber, wenn ich nach deiner Geburt diesen Namen für dich ausgesucht hätte«, sagt der Herrscher des Olymps jetzt ironisch und lächelt meine Stiefmutter an. Sie verfällt in ein gurrendes Gekicher. »Mag sein, dass dich deine Mutter Helen nennt, meine Tochter heißt Helena.«
»Sie ist nicht nur meine Mutter, sie war deine Frau!«, versuche ich ihn zu provozieren. Leider merke ich, dass ich wieder knallrot anlaufe und der Kloß im Hals noch
dicker wird. Paul und Jackie beschäftigen sich konzentriert mit dem Rindercarpaccio auf ihren Tellern und tun so, als würden sie nichts mitbekommen. Angela schaut mich böse an, doch mein Vater lächelt sein altbekanntes Lächeln, bei dem die Augen kalt und unbeteiligt bleiben, und sagt sehr sanft:
»Schon gut, Helena. Du bist sicher etwas angespannt heute. Das ist ja auch verständlich.« Der Blick aus seinen Augen trifft mich wie ein eisiger Wasserstrahl, dann wendet er sich Jackie zu. So war es schon immer. Er suggeriert mir, dass da noch diese
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