Venus allein zu Haus
Schönheitschirurgie noch immer ohne Reiterhosen an den Oberschenkeln oder Krähenfüße unter den Augen. Die Brüste füllen locker Körbchengröße D und stehen wie eine eins, obwohl sie Mutter einer einundzwanzigjährigen Tochter ist. Jacqueline, blauäugig, blond gelockt, schmollmündig und im sechsten Monat schwanger, sitzt meinem Vater zur Linken. Ihr fast fünfzehn Jahre älterer Ehemann Paul (wie die Mutter, so die Tochter) sitzt daneben. Durchschnittlich groß, durchschnittlich schwer, durchschnittlich aussehend. An Paul ist alles durchschnittlich bis auf sein Bankkonto, das ist auf Grund seiner gut gehenden Marmorfirma dick und rund. Ja, noch runder als der Bauch seiner Frau. Und dann bin da noch ich. Ich sitze Paul gegenüber, Angela zu meiner Rechten, zu meiner Linken Sophia. Die weicht hier, im Horrorkabinett meines Seelenlebens, natürlich nicht von meiner Seite. Und ausnahmsweise bin ich sogar fast ein bisschen beruhigt durch ihre Anwesenheit. Ich wünschte, meine Mutter wäre hier, aber die ist vor zwei Jahren nach Mallorca ausgewandert. Ich vermisse sie schrecklich, aber ich weiß, dass sie dort endlich wieder glücklich ist und nach allem, was in ihrem Leben passiert ist, gönne ich ihr das Glück von Herzen. Auch wenn es bedeutet, dass ich jetzt in diesem Haushalt leben muss.
Mein Vater hat meine Mutter verlassen, als ich acht Jahre alt war. Damals war Angela achtzehn und schwanger.
Laut meiner Mutter lief das Verhältnis zwischen ihr und meinem Vater da schon über mehrere Jahre. Was meinen alten Herrn also auch noch zum Kinderschänder macht. Zusätzlich zu allem anderen. Zusätzlich dazu, dass er vor meinen Augen diese neue, bessere Familie gegründet hat. Mit dieser schlanken, jungen Frau und der Tochter, die ein wahrer Sonnenschein war, wenn sie bei unserem Vater auf dem Knie saß, und ein wahrer Tyrann, wenn ich an den Wochenenden zu Besuch kam und mit ihr spielen musste. Das war es, was ich in dieser Familie war: Ein geduldeter Gast und kostenloser Babysitter für Jacqueline. In einem Spielzimmer, das beinahe so groß war wie die Wohnung, in der ich mit meiner Mutter nach der Scheidung lebte (denn der berufliche Erfolg meines Vaters stellte sich erst nach seiner zweiten Hochzeit ein), verbrachte ich meine Sonntage damit, mich von Jacqueline mit ihren teuren Spielsachen bewerfen zu lassen, während mein Vater im Schlafzimmer meine Stiefmutter durchvögelte. Als ich mit fünfzehn Jahren, bebrillt, verpickelt, mit fettigen Haaren, zu großer Nase, nicht vorhandenem Busen aber immer ausladenerem Hintern, die Biestigkeiten dieses damals siebenjährigen verzogenen Görs ertragen musste, habe ich stets geschwiegen, ihr süß ins Gesicht gelächelt und dabei gedacht: »Warte nur, bis dich auch endlich die Akne heimsucht.« Leider verwandelte sich meine Schwester zu allem Überfluss nahtlos von dem entzückenden Kind mit hellblonden Löckchen und engelsgleichem Gesichtchen in die (zugegeben) wunderschöne, elfengleiche junge Frau, die sie heute ist. Alle Männer zwischen zwölf und zweihundert standen auf sie. Immer. Und ich habe sie glühend um ihre Pubertät beneidet, in der ihr größtes Problem war, sich zwischen all diesen Verehrern zu entscheiden. Nun gut, das ist Schnee von gestern. Ich will mal
nicht undankbar sein, denn wahrscheinlich wäre ich keine Typberaterin geworden, wenn ich nicht selber mein erstes Versuchsobjekt gewesen wäre.
Nun sitze ich also hier. Ein Paar zu meiner Linken, ein Paar zu meiner Rechten. Ich bin allein. Angela und Jackie unterhalten sich über die neue Babykollektion von Oilily, Papa und Paul sprechen über die Ausbildungsversicherung für Klein-Georg. Denn dass es ein Junge wird, das musste sich Jackie von ihrem Arzt natürlich bestätigen lassen, sobald man das Geschlecht des Kindes feststellen konnte. Da waren sich Papa und sein Schwiegersohn einig, und Jackie hat getan, was von den Frauen in dieser Familie erwartet wird: gelächelt, genickt und gehorcht. Und es ist tatsächlich ein Junge. Endlich. Mein Vater ist so stolz, als hätte er den Kleinen selbst gezeugt, hat er doch stets und nicht mal im Verborgenen mit dem Schicksal gehadert, das ihm »nur« zwei Töchter geschenkt hat.
Bislang hat noch niemand meinen Einzug kommentiert. Ich wurde mit spitzmündigen Küsschen auf die Wange begrüßt und dann mitsamt Dotty ins Gästezimmer geschickt. Wo meine arme Katze nun auch bleiben muss.
»Du weißt doch, Helena, die feinen Möbel und unsere wertvollen
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