Venus allein zu Haus
zweite Mikro vom DJ-Pult reißend. Selbiger dreht geistesgegenwärtig an irgendeinem Knöpfchen, und schon steht Lara neben mir, fasst meine Hand und gemeinsam erklingt es aus unseren Kehlen:
»And I spend oh so many nights
just feeling sorry for myself.« Gerührt stelle ich fest, dass Lara, die eigentlich ein engelsgleiches Organ hat, genauso schlecht singt wie ich.
»I used to cry
but now I hold my head up high.« Plötzlich wird es ziemlich eng auf der kleinen Bühne, weil all unsere Freunde, sieben Mädels und acht Jungs, auf uns zustürmen und sich um unsere Mikros scharen. Alle zusammen beenden wir das Lied:
»I’ve got all my life to live,
I’ve got all my love to give,
and I’ll survive,
I will survive. Hey, hey!« Alle lachen und applaudieren, doch ich stehe stocksteif da und spüre gar nicht, wie ich von den sich umarmenden Menschen um mich herum angerempelt werde. Das letzte »I will survive« ist mir buchstäblich im Halse stecken geblieben. Mein Blick geht über die Tische und Köpfe hinweg zu einem entlegenen Platz ganz hinten in der Bar. Und dort, ein halb leeres Bier vor sich, sitzt Jan und schaut mich an.
12.
Was soll ich machen? So tun, als ob ich ihn nicht erkannt hätte?
Ich nicke ihm zu. Okay, mehr als das ist wirklich nicht drin. Ich drehe mich auf dem Absatz um und will mich wieder in den rettenden Schoß des Junggesellinnenabschieds flüchten. Das Hochzeitspaar in spe sitzt mittlerweile strahlend nebeneinander und alle amüsieren sich prächtig. Mal sehen, ob ich meine beim Anblick meines Ex unter den Gefrierpunkt gerutschte Laune dort nicht ein bisschen aufmöbeln kann. Doch da greift Jan, der inzwischen hastig aufgesprungen ist, mich am Arm:
»Helen, bitte warte einen Augenblick.« Er steht dicht vor mir. Zu dicht. So dicht, dass mir dieser vertraute Geruch in die Nase steigt. Diese ganz eigene Mischung aus Seife, Parfüm, Zigarettenrauch und Kaugummi. Mit bebenden Nasenflügeln atme ich die Kombination in mich hinein und löse damit eine Welle der Erinnerungen an unsere schöne Zeit aus.
»Was ist denn?«, frage ich und kann das Beben in meiner Stimme nur schlecht unterdrücken. Bleib cool, schärfe ich
mir selber ein. Atme doch einfach durch den Mund. Das tue ich, doch auch seine dunklen Augen, die auf mir ruhen, wecken alte Gefühle. Schnell lenke ich meinen Blick knapp an seinem linken Ohr vorbei.
»Äh, wie geht’s dir denn so?«, fragt er und lässt meinen Arm dabei noch immer nicht los. Wie soll es mir schon gehen?
»Ganz gut, und dir?«
»Auch gut, danke.« Wie schön. Da bin ich ja beruhigt. Darf ich jetzt gehen? »Das war echt toll, dein Lied eben.«
»Soll das ein Witz sein?« Ich weiß doch selber, dass ich schrecklich war.
»Nein, Helen, ich meine es ernst, bestimmt. Zuerst konnte ich es gar nicht glauben, dass du es wirklich bist. Ich meine, so kenne ich dich gar nicht.« Singend? Nein, aus gutem Grund. »So frei.«
»Wie meinst …«, beginne ich, als sich plötzlich ein schlanker Frauenarm um Jans Hals schlingt. Er gehört zu einer fast ein Meter achtzig großen blonden Frau, die sich nun an ihn drückt, und ihm mit der Hand durch die Haare fährt.
»Da bin ich wieder«, schnurrt sie ihm ins Ohr und tut so, als würde sie mich jetzt erst bemerken. »Oh, Entschuldigung. Störe ich?« Einen Augenblick mustern wir uns gegenseitig von oben bis unten. Hübsche Frau, die Haare ein bisschen zu wasserstoffblond, der Rock ein bisschen zu kurz, das Oberteil zu eng, doch all das tut ihrer Schönheit keinen Abbruch. Ich frage mich irritiert, was ihre rot lackierten Krallen im Schopf meines schwulen Exfreundes zu suchen haben.
»Oh, äh, nein«, Jan wirkt ebenfalls etwas verwirrt, »Helen, das ist Babsi, Babsi, das ist Helen«, stellt er uns
einander vor. Aha. Und Babsi Wer? Ich strecke ihr meine Hand hin und sie reicht mir ihre zu einem Nasser-Waschlappen-Händedruck.
»Ach, du bist Helen«, sagt sie und zieht dabei vielsagend die Augenbrauen hoch.
»Ja, das ist Helen«, wiederholt Jan.
»Genau, ich bin Helen, und ich muss mal aufs Klo.«
»Helen, nein, warte doch mal«, ruft mir Jan noch hinterher, aber ich tue so, als würde ich ihn gar nicht hören.
In der Damentoilette stehe ich vor dem Spiegel und stütze mich mit den Händen auf dem Waschbecken ab. Dieser Abend ist ein Albtraum. Nicht nur, dass ich singen musste, jetzt begegne ich auch noch Jan hier. Und dieser komischen Tussi, die ihn dann auch noch vor meinen Augen betatscht. Ich dachte, er
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