Venus
glitzernden Fischschwärmen, mit steilen, felsigen Ufern, auf deren Klippen sie sich nackt räkelt, mit Schilfbrauen, die den Ufern Schatten spenden, seine Lippen schwellen ihr zärtlich entgegen, seine Hände sind Flöße, stabil gezimmert, um sie durchs Leben tragen zu können. Sie starrt ihn an und beendet ihren Satz:
»… ich würde gern eine Weile hier bleiben.«
Der Bliss Swami sieht für einen Moment erstaunt aus. Ihn haben wir mit dem Zauberstab nicht berührt, er ist noch derselbe, ein Mönch in einer Kirche, einer, der zwar schon vieles gesehen hat, aber noch keinen blonden ätherischen Engel ihn lüstern anstarren.
»Wir vermieten Gästezimmer an Touristen«, sagt er und räuspert sich. Wenn er wüsste, wie das geht, Verlegenheit, er würde umgehend von ihr befallen. Seine Stimme ist männlich und sanft zugleich. Der schlafende Riese. Der traumwandelnde Krieger. Glücklicherweise ahnt er nicht, was ihm bevorsteht, sonst würde er alles stehen und liegen lassen, würde rennen, um sein Seelenheil, um sein Leben. Aber der ganze Mann verharrt in freundlicher Untätigkeit. »Ich müsste herausfinden, ob eines frei ist.«
Er ist schön, denkt sie. Wie schön er ist! Und sagt atemlos: »Ist denn eins frei?«
Der Bliss Swami setzt sich langsam in Bewegung, geht lautlos zum Schreibtisch, beugt sich darüber, blättert in einem abgegriffenen Buch.
»Ähm … ja.«
»Was kostet das?«
»Ähm … zweitausend Dollar im Monat.«
Kein Problem, denkt sie, will sie sagen, will in ihre nicht vorhandene Tasche greifen, um mit nicht vorhandenem Geld zu bezahlen, mit einer lässigen Handbewegung, die nur Menschen im Repertoire haben, die sich alles kaufen können. Sie hält mitten in der Bewegung inne, sich der Vergeblichkeit der Aktion bewusst werdend.
»Was?«, sagt sie. »So viel? In diesem …«, sie verschluckt den Rest des Satzes, weil der herrliche Anblick des Orangen Riesen ihr den Atem raubt.
»Wir sind ein Zufluchtsort für Menschen, die sich ihrer inneren Leere bewusst werden«, sagt der Bliss Swami.
»Reiche Menschen, nehme ich an«, murmelt sie. Mehr als Murmeln ist im Moment nicht drin.
Er nickt. »Das sind oft die leersten«, sagt er ernst.
Da nickt sie auch, denn sie ist viel zu verliebt, um ihm den Vogel zu zeigen. Vielleicht haben wir unseren Zauber zu hoch dosiert, jedenfalls bedankt sie sich artig, geht in ihren Witz von einem 2000-Dollar-Zimmer zurück und überlegt, wie man an Geld kommt, wenn man keines hat, und wie das andere Leute machen.
Sie humpelt hinaus auf die Straße, die Luft ist kühl und klar. Sie läuft auf nackten verbundenen Füßen mit der Abendsonne im Rücken. Ich heiße Venus, erklärt sie dem Straßenlärm. Der brummt nur. Sie sieht sich um und atmet tief ein, aber die Luft ist feucht und schwül und enthält wenig Sauerstoff, und egal, wie tief sie atmet, es scheint auf geheimnisvolle Weise nie tief genug zu sein. Sie betrachtet die Gesichter der Menschen. Kennt der mich? Oder die? Die schmale Straße, eingerahmt von hohen Häusern, der Straßenlärm, der Hochmut der Großstadt, der selbstverliebte Brachiallärm der Feuerwehren, der Gestank nach Wohlstandsmüll und Fäulnis. All das kommt ihr vertraut vor. Dies könnte ihr Haus sein. Oder jenes dort? Die Geräuschkulisse dringt durch jede Pore in sie ein. Die gelben Taxis fahren direkt durch ihren Kopf, zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus, so leer ist der (die reichsten Menschen sind oft die leersten …), so laut sind die. Es schmerzt etwas, sie hört ein fernes Rauschen desBlutes, spürt einen leichten Puls in den Schläfen. Bin ich verheiratet?, denkt sie. Warten meine Kinder auf mich?
Ein Wind kommt auf, dem sie nicht viel entgegenzusetzen hat. Vor ihre Beine weht ein Zeitungsblatt und bleibt an ihren spitzen Knien hängen. Sie bückt sich, zupft es ab, will es wegwerfen, sieht eine Annonce darauf. WATCH EXCHANGE , Fifth Avenue and 23th Street. Venus sieht auf ihr linkes Handgelenk. Da ist eine Uhr. Sie ist schwer, klobig, unbequem, sie sieht teuer aus. Nach Gold mit Brillanten. Es ist fünf Uhr. Fünf Uhr nachmittags. Sie ist an … Avenue B, Ecke 9. Straße. Sie sieht wieder auf die Annonce. Ich werde die Uhr verkaufen, denkt sie. Ich muss geradeaus bis zum Ende vom Tompkins Square Park und links, denkt sie. Geradeaus und links, komisch, denkt sie, das weiß ich.
Nach zwanzig Minuten Barfußmarsch ist sie angekommen, fußwund, die schmutzigen Mullbinden wie Schleppen hinter sich herziehend, aber mit der
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