Venus
Leichtigkeit blutjunger Verliebtheit im Bauch. Nun steht sie vor einem alten Eckhaus, dessen atemraubende Schmalheit ihr vertraut erscheint.
Gegenüber sieht sie die großen grünen Neonbuchstaben leuchten: WATCH EXCHANGE . Sie bittet einen rauchenden Passanten um eine Zigarette. Ihr linker Fuß schmerzt mehr als der rechte, sie hebt ihn hoch und dreht ihn im Gelenk. Der eine Verband ist ganz abgefallen, der andere hängt noch am rechten Fuß. Sie steht auf einem Bein, spürt die Wucht des ersten Zuges in allen Gliedern, strauchelt, hält sich an einem Hydranten fest. Nach drei Zügen wirft sie die Zigarette weg und betritt das Geschäft.
»Es ist eine Goldstein Diamond Pearl Master«, sagt der Verkäufer. Er ist um die fünfzig und hat ein Vollmondgesicht. Er wirft einen Blick auf ihre Füße, sagt aber nichts. Jesus’ Füße sahen streckenweise auch nicht besser aus. »Da haben Sie ein wertvolles Stück, Katalogpreis 6435 Dollar.« Er sieht sie anerkennend an, als steige mit der Uhr auch ihr Wert. »Ist sie kaputt?«
Das sind drei Monatsmieten in seiner Nähe, denkt sie.
»Nein«, sagt sie. »Ich will verkaufen.«
Auf diese Nachricht hin kühlt der Mann merklich ab. Nochmals nimmt er die Goldstein Diamond Pearl Master in die Hand und starrt sie lange durch eine Lupe an. In Venus schießt Angst hoch. Eine Fälschung. Kürzlich gestohlen worden. Sie macht sich verdächtig. Vielleicht ist sie eine Kriminelle.
»Entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagt der Mann mit dem Vollmondgesicht und verschwindet im Hinterzimmer. Er ruft die Polizei, denkt sie, jetzt ruft er die Polizei. Ihr dünnes milchweißes Bein wippt nervös, aber sie bleibt sitzen, denn sie braucht ja das Geld, denn sie will ja in der Nähe des Orangen Riesen sein, so nah und so lange, wie es geht, dazu haben wir sie schließlich mit unserem Zauber verdonnert.
Nach langen fünf Minuten kommt der Mann wieder raus. Er lächelt entschuldigend.
»Es fehlen zwei Glieder am Originalarmband. Haben Sie die grad da?« Sie schüttelt den Kopf. Das Schwein. Er weiß genau, dass sie die Glieder grad nicht da hat. Er ist ein erfahrener Ankäufer von Verzweiflungsuhren. Er riecht ihre Notlage.
»Dann brauch ich die Papiere.« Sie schüttelt den Kopf.
»Sie haben keine Papiere für die Uhr?«
Sie sagt leise: »Nein.«
»Haben Sie einen Ausweis dabei?«
»Auch nicht.«
»Also, unter diesen Umständen …«, sagt er gedehnt, »unter diesen Umständen kann ich Ihnen höchstens die Hälfte geben.«
»Sie sind ein Betrüger!«
Der Betrüger zieht einen Katalog aus einem Stapel, leckt den kurzen Zeigefinger an und fährt mit ihm quietschend die Spalten herunter.
»Wie gesagt, 6435 Dollar Listenpreis«, sagt er und hält ihr den Katalog hin. »Mit Papieren, also Kaufnachweis und vollständigem Armband.«
»Vielen Dank für Ihre Bemühungen, Mister …«
»Kingsley«, ergänzt er servil.
»… Mister Kingsley. Ich ziehe es vor, mich nach einem seriösen Geschäftspartner umzusehen. Guten Tag!«
Sie humpelt zur Tür, den Verband wie einen toten Wurm hinter sich herziehend.
»Selbstverständlich! Viel Spaß dabei«, ruft der Verkäufer ihr nach. »Und falls Sie nicht fündig werden: unser Angebot steht!«
Fünf Uhrenhändler und zwei Glassplitter später steht sie wieder vor WATCH EXCHANGE .
»Freut mich, dass Sie sich doch noch für uns entschieden haben, gnädige Frau«, sagt Kingsley und bereitet die Papiere vor. »Füllen Sie dieses Formular aus. Der Barscheck geht Ihnen dann in zwei Wochen zu.«
Barscheck. Zwei Wochen. Sie schnappt nach Luft.
»Ich brauche das Geld cash«, sagt sie. »Sofort.«
»Cash zahlen wir nur in Ausnahmefällen, aber dann anteilig«, sagt er. »Das wären in Ihrem Fall …«, er zücktden Stift und malt Kringel in sein Notizheft, »… 2000 Dollar.«
»2200«, bittet sie und spürt die Demütigung in jedem Knochen.
»Okay«, sagt er leutselig und zwinkert ihr zu, »weil Sie es sind!«
Es ist niemand anders im Laden. Er schreibt keine Quittung. Er leckt den Finger an und zählt ihr die stinkenden grünen Scheine hin. Er hält ihr die Hand hin, aber sie nimmt sie nicht. Er zuckt mit den Schultern und steckt die Goldstein Diamond Pearl Master in seine Hosentasche, sieht, wie sie aus dem Laden humpelt, das Geld in der Faust und sich draußen bei einem Straßenhändler billige Schuhe kauft. Er sieht, wie der Straßenhändler argwöhnisch den knittrigen 50-Dollar-Schein betrachtet, den sie ihm hinhält.
Während sich unsere
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