Venus
flüstert sie, aufrecht und gerade steht sie vor ihm wie ein Zinnsoldat und streichelt sein bärtiges Gesicht, fährt mit den kurzen Kinderfingern über jeden silbernen Faden, der sich inzwischen durch sein schwarzes Barthaar zieht. Er ist, bebend unter dieser ungewohnten Zuneigungsbekundung, fest entschlossen, alles zu nehmen, was sie gibt, alles zu glauben, was sie sagt, seine Frau, seine schöne junge Ehefrau, deren Zärtlichkeit er zum ersten Mal sich erlaubt zu erfahren, deren Zimmer er zum ersten Mal sich erlaubt von innenzu sehen. Aber da er viel zu verwirrt ist, sieht er nicht seine Fotos, die wie Heiligenbildchen an allen Wänden hängen, mit Blumengirlanden gekränzt. Da er nie versucht hat, thailändische Schriftzeichen zu lernen, kann er nicht in ihrem aufgeschlagenen Tagebuch lesen, ein rührendes Protokoll ihrer Liebe zu ihm, in Maria Magdalenas spärlichem Wortschatz, handgeschrieben in jeder ihrer spärlichen freien Minuten. Beide stehen unter der niedrigen Decke des Verschlags, in dem Maria Magdalena lebt, sie drängt sich an ihn, sie weiß nicht, woher ihr Mut kommt, der sie alle Barrieren nehmen lässt. Er greift nach ihren Babyfingern. Ihre gelbbraunen Hände liegen wie Küken in seinen behaarten Händen.
Ihr rosenblattförmiger Mund, er ist dunkelrot geschminkt, er wird ihn küssen dürfen, er wird ihn küssen, gleich, nun, wo ohnehin ein Teil der Absprache gebrochen ist.
Madame Butterfly, jetzt fällt ihm der Name dieser verhängnisvollen Oper wieder ein, an den ihn ihr ursprünglicher Name erinnert hatte. Dies ist der Ausnahmezustand, sagt er sich, auch wenn ihm nicht ganz klar ist, wodurch derselbe hervorgerufen wurde. Sie steht ganz nah bei ihm, ihre glatte Wange an seiner haarigen. Togas Magen schweigt zum ersten Mal seit vielen Jahren. Der Tempelpräsident ist ganz still, er spürt ihren warmen geraden Körper, ihre Jugend, ihren neuen und fremdartigen Moschusduft, ihre Liebe, und es ist beiden, als schiene der Mond hell ins Zimmer, obwohl das Zimmer gar kein Fenster hat.
Als Arjuna Kukis Zimmer erreicht, läuft er wie ein schwerer Fall von Morbus Bechterew, so schlimm hat der Hühnerwurf seinem Rücken zugesetzt. Kuki empfängtihn, auf ihrer Massageliege hingegossen, als sei sie eine Prinzessin und die Liege eine Ottomane. Doch ist, der eintritt, nicht der Mann, den sie erwartet. Und eigentlich hatten wir ihr auch den Scheich zugedacht, so wie wir auch ursprünglich geplant hatten, Arjuna mit seiner eigenen Frau zusammenzubringen, ganz wie es sich gehört, aber unsere Sommergeschichte hat eine gewisse Eigendynamik entwickelt; wir lehnen uns zurück und genießen.
Kuki liegt also auf der Massageliege, reißt kurz die dunklen Augen auf, als statt des großen langhaarigen Derwischs der gebückte Küchenchef mit dem traurigen Löwenkopf vor ihr steht, stellt sich aber schnell auf die neue Situation ein. Das war immer ihre Stärke, sich schnell auf neue Situationen einzustellen. Im Grunde hat sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht, als sich auf neue Situationen einzustellen. Sie besitzt die Fähigkeit, etwas von einem Moment zum anderen hinter sich zu lassen. Ihre Eltern hat sie hinter sich gelassen, mehrere Religionen, mehrere Liebhaber, ihr Kind … Und dann: Mann ist Mann.
»Sieht aus, als bräuchtest du eine Massage«, sagt sie und räkelt sich, wobei die Räkelei vergeudet ist, da Arjuna in seiner aktuellen Haltung den Boden anstarrt und nicht sie.
»Komm her«, sagt sie, steht auf, nimmt ihn an den Schultern und zieht in auf die Liege. »Geht aufs Haus.«
Arjuna, der nicht weiß, wie ihm geschieht, der Togas Auftrag, Kuki zu ihm zu bringen, vergessen hat, der sogar Baula und das Huhn und den Schmerz vergessen hat, findet sich auf allen vieren, von starken Salbeiund Weihrauchdüften der Räucherstäbchen umgeben. Erst liegt er wie ein Krummsäbel, aber nach und nachgelingt es ihm, die Schutzhaltung aufzugeben und mit dem Bauch die Liege zu berühren. Er spürt Kukis Hände überall an seinem Hals, seinem Nacken, seinen Schultern, geschult gleiten sie über die Havarieherde seines Körpers, der sich vollständig entkrampft, der in ihre Hände hineinwächst, sich in sie verästelt bis in alle Synapsen.
Wie stark er plötzlich das Defizit seiner Beziehung mit Baula empfindet, glasklar steht ihm vor Augen, was er seit Monaten verdrängt hat: wie wenig sie ihn achtet, wie oft sie ihn hintergeht. Wie sehr er sich in diesem Moment wünscht, dass sich Kukis Hände etwas weniger
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