Venus
ihrer schneller werdenden Atemzüge. Er weiß, dass sie seinen Atem in ihrem Schamhaar spüren wird, er wird diesen milchweißen Leib mit lautlosen Küssen bedecken, und er wird mit der Zungenspitze ihr Geschlecht berühren, er will die ganze Frau anzünden wie ein Streichholz, so lichterloh soll sie brennen, dass die Stadt mit einem Schlag taghell wird.
12 Eisbären
Es wird Licht, aber nicht, weil die Venus brennt. Es wird Licht, weil wir es so wollen, weil wir den Tag unterhaken und herbringen. Der Strom ist immer noch nicht wieder da. Die Tempelkirche liegt im Tiefschlaf. Eine Morgenzeremonie hat nicht stattgefunden. Daniel H. Boone zuckt mit den Füßen und kichert. Es kitzelt. Es kitzelt noch einmal. Er öffnet die Augen. Es ist das Kind, das ihm mit einer von Bringfriedes Stricknadeln an den Fußsohlen kratzt.
Boone löst sich aus Bringfriedes Klammergriff. Das hat er ja ganz vergessen, im Liebestaumel, im Weinrausch. Irgendjemand sucht dieses Kind, das ihn aus seinem dunklen Gesicht anstrahlt, als hätte es ihn zu seinem neuen Dad gekürt. Er muss im Büro anrufen. Sicher liegt eine Vermisstenanzeige vor. Ach, und die Apfelblüte. Er wird sich auch gleich nach dem Stand der Ermittlungen erkundigen. Er wird einen Morgenspaziergang machen, für den Fall, dass die Welt draußen doch noch nicht untergegangen ist. Boone versucht, das Licht einzuschalten. Er dreht den Schalter der Klimaanlage – nichts. Immer noch kein Strom. Er wirft einen zärtlichen Blick auf Bringfriede, die im Schlaf am Daumen lutscht. Seine Muhme Annie hat am Schluss doch Recht behalten. Es ist gut, dass er den Zeichen gefolgt ist. Er hatte ja keine Ahnung! Er hatte ja sein Leben lang keine Ahnung!Venus erwacht von dem Geschrei zweier balgender Eichhörnchen direkt neben ihr. Noch bevor sie an die zurückliegende Liebesnacht denkt, schießen unangenehme Erinnerungen ein. Der Motelgast, der sie erkannt hat. Ist er schon zur Polizei gegangen?
Sie springt auf, sie ist allein, sie ist nackt. Die Eichhörnchen laufen hakenschlagend davon. Ein Taubenschwarm geht im Sturzflug auf die flächendeckend von Müll überzogene Straße nieder.
Sie spürt die Liebesnacht wohlig in jedem Knochen, doch der helle Tag hat jene nachtblaue Romantik vertrieben. Sie zieht sich an und läuft auf nackten Sohlen die Treppen hinunter, in ihr Zimmer, wo sie die weinende und wehklagende Bringfriede findet, die sich die verwirbelten roten Haare rauft und büschelweise ausrupft. »Mein Mann ist weg«, schluchzt Bringfriede, dramatisch wie eine Kriegswitwe. »Ja, meiner auch«, sagt Venus munter. »So sind sie eben, die Männer.« Aber Bringfriede lässt sich nicht beruhigen. Sie weint und wehklagt, sie tobt und protestiert. Nun ist ihr verzweifeltes kleines Leben endlich zu einiger Bedeutung gelangt, sie hat einen Mann gefunden, der sie nicht für verrückt erklärt, der sie nicht garstig findet. Und dann geht er Zigaretten holen, geht Kaninchen jagen, geht nur mal kurz ins Büro – und kommt nicht wieder.
»Vielleicht ist er aufgehalten worden«, sagt Venus, überzeugt davon, dass es sich um eine von Bringfriedes Wahnvorstellungen handelt. »Er ist Kriminalinspektor«, jammert Bringfriede, »Kriminalinspektoren werden nicht aufgehalten.« Im selben Moment hat Venus ein Bild vor Augen: Bringfriede, die von einem glatzköpfigen Mann getragen wird. Der Mann ist echt. Es gibt ihn wirklich. Es ist derselbe Mann, der sie im Bus erkannt hat. Ein Kriminalinspektor!Sie ist erledigt! Sie kann im Prinzip mit erhobenen Händen vors Haus treten. Panik mischt sich mit Erleichterung. Ein Martinshorn, das von der Straße heraufdringt, lässt sie erstarren.
Dann zupft sie jemand am Ärmel: »Kann ich jetzt zu meinem Papa?«
Das Kind steht vor ihr, Kavi, und Venus sieht es lange an. Dann nimmt sie es an der Hand und führt es über den Flur, die Treppen hinunter, sie klopft an eine Zimmertür.
»Herein«, ruft eine Männerstimme. Venus tritt zögernd ein, das Kind an der Hand hinter sich herziehend. Am Fenster sieht sie Arjuna stehen, leicht verlegen, mit auf dem Rücken verschränkten Armen. Er ist in ein Laken gewickelt, das eine seiner Schultern frei lässt. Kuki liegt noch im Bett, bis zum Hals zugedeckt. Sie ist vollkommen ungeschminkt und ungeschmückt. Ihr dunkles Gesicht, ihre schwarzen Augen, ihre schwarzen Lippen bilden den heftigsten Kontrast zu der rosa Decke, unter der sie sich wie eine Katze zusammengerollt hat, man sieht den schweren Abdruck ihres Körpers.
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