Venus
werden will, Augenbrauen, die zusammenwachsen wollen. Dann die dunklen Haare wie Rabengefieder. Die braunschwarze aschige Haut …
»Und deine Mum?«, fragt sie ahnungsvoll.
Kavis Oberlippe ist zu kurz und lässt auch bei geschlossenem Mund ein Zahndreieck sehen. »Hab keine Mum«, murmelt er, rollt sich in einer Kiste mit Kräutern zusammen, gähnt herzhaft und schläft noch im Gähnenein, mit offenem Lippendreieck, durch das die kleinen weißen Hamsterzähne blitzen.
Indessen ist, nur zwei Gänge weiter, unser Inspektor betrunken, berauscht und verknallt. Seine Herzfrequenz ist extrem erhöht, der Wein pulsiert in seinen Gefäßen, der Muffin hat das Übrige dazugetan. Boone trägt auf seinen kurzen Armen Bringfriede, die kichert und schnattert und seine Haarsträhnen verwuschelt und verspottet und allerhand Unsinn erzählt, er trägt sie frohlockend in Richtung Bus, der bereitsteht zur letzten Fuhre. Himmelfahrt, denkt Boone, das ist die Nacht der Nächte, und wen kümmert schon ein kümmerlicher Fall, wenn die Welt untergeht und die Hormone tanzen.
Alle verderblichen Waren sind abtransportiert oder verpackt, vor Boone trägt der Swami eine Gemüsekiste mit dem schlafenden Kind. Venus läuft neben ihm und schaut sich um, der alte Yogi wird vermisst. »Sun Baba«, ruft sie, wohl wissend, dass der Alte, selbst wenn er ihren Ruf hörte, nicht antworten würde. »Sun Baba!«
Der zottelige Hund des Supermarkt-Chefs ist es, der den Alten findet, beschnüffelt und von oben bis unten mit blauer Zunge ableckt. Dem Supermarkt-Chef selbst bleibt dieser Umstand verborgen, da er sich mit Winter in die Haushaltswaren-Abteilung verzogen hat, wo die beiden heftig knutschen. In einer Eispfütze liegt die Leiche des alten Mannes, noch kleiner und dünner als zu Lebzeiten, nichts als ein Grashüpfer, aber einer mit einem seligen Lächeln im Gesicht. Stumm und unschlüssig scharen sich unsere Helden um den Toten, keiner weiß, was sagen, was tun. Nur Bringfriede springt von Boones Arm, schlägt ein Kreuz über der Leiche, zerrt an Sun Babas schlaffem Arm und ruft: »Stehe auf, mein Sohn, und wandele!«
*
Toga empfängt den Bus, Regieanweisungen gebend. Eine kurze Bestandsaufnahme ergibt, dass vier Personen vermisst sind: drei von der Dunkelheit verschluckt, eine tot. Stattdessen gibt es Zuwachs, ein in einer Gemüsekiste schlafendes indisches Kind, eine Rückkehrerin, die irre Bringfriede, die offenbar aus der Klapsmühle entkommen ist und sich obendrein mit einem Motelgast eingelassen hat. Es gab Tage, an denen hätte Toga Neuigkeiten wie diese nur mithilfe ausgedehnter Putzaktionen verkraftet. Aber nun, im aphrodisierten Zustand, mit der lodernden Gewissheit einer schönen und begehrenswerten Ehefrau an seiner Seite, einer Tempeltänzerin im bauchfreien Sari, mit modernem fransigem Kurzhaarschnitt und dunkelrot geschminktem rosenblattförmigem Mund, lassen ihn die Neuigkeiten kalt. Er funktioniert noch, er leitet den Abtransport von Sun Babas Leiche in die Wege, er stellt die Obdachlosenbeköstigung auf die Beine, aber dann lässt er den Dingen ihren Lauf. Wie schön, wie entspannend es ist, den Dingen ihren Lauf zu lassen, denkt er. Er hat nicht mal seine blutbefleckte Toga gewechselt. Er übersieht eine Wollmaus und kneift vor lauter Übermut die neben ihm Sandwichs austeilende Maria Magdalena in den festen, knabenhaften Hintern. Sie quiekt wie ein Meerschwein.
Er schickt den Swami, den Kleinbus zu parken. Er drückt der angeschickerten Bringfriede und ihrem Helden die Obstkiste mit dem schlafenden Kind in die Hand, Arjuna, der einen Hexenschuss simuliert, wird auf die Suche nach Kuki geschickt, deren Anwesenheit für den anstehenden Großabwasch erforderlich ist. Venus soll die restlichen Speiseeis-Familienpackungen portionieren und an die Obdachlosen austeilen, die bereits Schlangestehen, und Ramzi soll die noch nicht aufgetauten Gefrierwaren ins noch halbwegs kalte Kühlhaus im Keller bringen.
Selbst Scheich Ramzi schlägt die Weltuntergangsstimmung aufs Gemüt. Hat er etwa mit der Dreckkruste automatisch seine Bosheit weggeschrubbt? Leidet er an plötzlicher Herzerweichung? Er fühlt sich ungeschützt, verletzlich, entpanzert. Wenn die Welt wirklich untergeht, wenn sein Leben hier zu Ende ist, wie sinnlos und unerfüllt ist es doch gewesen! Matt tastet er sich die dunkle Kellertreppe hinunter, einen Kerzenstumpen in der einen Hand, einen Karton mit eingefrorenem Tofu in der anderen, Muffins in den Taschen seines
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