Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
liebte und fand den einzig logischen Widerspruch.
Joel folgte ihrem Blick und prüfte die Fotos – nichts.
»Wenn er tatsächlich ein Vampir wäre, könnte ich nicht seine Tochter sein.«
Zielsicher hatte sich die hübsche und clevere Tochter des Magnus das einzige Argument gewählt, das er nicht entkräften konnte. Es war eine allgemein gültige Tatsache, dass Vampire keine Kinder zeugen können. Etwas, was Joel auf keinen Fall als Argument zulassen durfte.
»Ich muss zugeben, das hat uns alle ein wenig überrascht. Aber in allen Mythen gibt es Wechselbälger oder Missgeburten. Du bist etwas, was nicht existieren dürfte, eine kurioser Fehler der Natur.«
Seine gewollt grausamen Worte trennten Licht und Dunkelheit, Legende und Wahrheit und stießen Judith in eine Welt zurück, in der alles möglich sein konnte. War ihr Vater tatsächlich ebenso ein Ungeheuer wie der Mann vor ihr? Rücksichtslos und … sie wollte bösartig denken, doch trotz seines finsteren Gesichtsausdrucks und seiner Attacke war sie nicht dazu in der Lage.
Auch Joel dachte an seine Attacke. Immer noch schmeckte er ihr Blut in seinem Mund, den prickelnden Nachgeschmack des Lebens und das Versprechen auf mehr. Wieder konnte er den Widerstand ihres schlanken, knabenhaften Körpers unter sich spüren. Ihre Wärme und ihre Wut. Reizend!
Offenbar war sie in ihren Überlegungen zu einem Ergebnis gekommen, denn ihre Blässe war noch intensiver geworden, die hektischen roten Flecken auf ihren Wangen noch leuchtender. Beides ließ ihre Augen größer erscheinen und beinahe fiebrig glänzen. Eine Tatsache, die ihre Ähnlichkeit zu Magnus betonte.
Joel beschloss – entgegen seiner sonstigen Natur – ihr die Wahrheit zu sagen. Nur die Wahrheit konnte das Spiel durchbrechen, das ihr Vater für sie geplant hatte. Welches auch immer das sein mochte.
»Dein Vater ist ein Vampir. Er hat eines der wichtigsten Artefakte der Vampirgesellschaft gestohlen und ich bin dafür verantwortlich, es wiederzubeschaffen.« Er ließ seinen Blick drohend über sie gleiten und hoffte, dass sie seinen Angriff und ihren blutigen Kuss noch ebenso deutlich vor Augen hatte wie er. »Unter allen Umständen!«
»Hätte er meine Mutter damit retten können, hätte er es getan«, behauptete die junge Frau vor ihm und sah zu ihm auf. Zum ersten Mal schien sie weder seine Nähe noch seine Größe einzuschüchtern.
»Aber er hat es nicht getan und dich, die es nicht einmal geben sollte, so gering geschätzt, dass er dich allein und schutzlos zurückgelassen hat.« Er beugte sich zu ihr und versuchte, sie mit seiner körperlichen Präsenz einzuschüchtern. Eine Taktik, die ihr Vater oft benutzt hatte.
Sie konnte spüren, wie sich altbekannter Trotz ob dieser Drohgebärde in ihr regte. »Dann hat er es auch nicht gekonnt«, meinte sie mit einer Gewissheit, diedurch das Bewusstsein der jahrelangen Liebe zwischen ihren Eltern geschürt wurde. Sie erinnerte sich noch an ihr letztes gemeinsames Essen, an die Trauer die wegen der tödlichen Krankheit ihrer Mutter. Sogar an so Kleinigkeiten wie den Lieblingswein ihrer Mutter, dem speziellen, alten Moseltropfen, den ihr Vater extra besorgt hatte, erinnerte sie sich – und daran, wie schlecht ihr von dem süßen Zeug geworden war. »Mein Vater hätte alles für Mama getan.«
Sie funkelte das untote Wesen vor sich an. Das herablassende Lächeln, mit dem er die Liebe zwischen ihrer Mutter und einem Vampir kommentierte, entfachte ihre Wut und verschloss ihr Geheimnis noch tiefer in ihr.
Joel war erstaunt darüber, dass sie es tatsächlich schaffte, seinem Blick standzuhalten. Etwas, was nur wenigen Vampiren gelang.
»Welches Artefakt?«
Die Frage kam sanft und unerwartet, und zusammen mit ihrem Wegschauen hätte Joel beinahe geantwortet. Unwillig schüttelte er den Kopf. Dieses Zusammentreffen verlief kein bisschen so, wie er es geplant hatte. »Das geht dich nichts an.«
»Ich weiß nicht, wo mein Vater ist.« Wieder sah sie den Vampir an und er spürte die Wahrheit in ihrer Aussage. Trotzdem wusste sie es. Ein Widerspruch in sich. Ihr Gesichtsausdruck wechselte unter seinem Blick von trotzig zu entschlossen. Sie hatte ein Geheimnis und sich entschlossen, nicht mitzuspielen? Dann würde er sie mitnehmen müssen. Als Geisel an einen Ort, den nur er kannte. Der Gedanke war mit einem Mal da, verführerisch und lauernd. Eine gute Lösung. Eine aufgeschobene Lösung. Eine Lösung, die ihm gar nicht ähnlich sah. Als er zu dieser
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