Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
schienen das Licht anzuziehen und zu verschlingen, ohne es jemals wieder freizugeben, während seine Haut beinahe alabasterweiß strahlte. So makellos hell, dass es schwer war, den geblendeten Blick nicht abzuwenden. Das Gesicht des Fremden war finster und sein Gesichtsausdruck so kalt, als könne ihn nichts auf dieser Welt erschüttern und aus der Ruhe bringen. Keine Emotion schien ihn zu tangieren, ein Wesen ganz ohne jedwede Lebensfreude.
Nicht menschlich. Sie würde niemals eine Chance gegen ihn haben
. Das Wissen war vollkommen, kam aus einer unbekannten Quelle in ihrem Inneren, und schockierte Judith mehr, als es alles Vorangegangene es gekonnt hatte.
Stoisch ließ Joel den prüfenden Blick über sich ergehen, bis sich die Erkenntnis auf dem Gesicht der jungen Frau abzeichnete: Er war der Jäger, sie die Beute.
Judith atmete erleichtert aus, als der Fremde einen Schritt zurück ins Halbdunkle machte. Zum Glück war sie nun nicht mehr dem finsteren Blick ausgeliefert, der mit voller Aufmerksamkeit auf ihr ruhte.
Trotzdem blieb ein vages Gefühl des Bedauerns zurück, als sie den Vampir nicht mehr sehen konnte.
Joel beschloss, seine Fragetaktik zu verändern. Vielleicht würde sie sich einsichtig zeigen und kooperieren, wenn er ihr Hilfe und Verständnis anbot?
»Wo ist deine Mutter?«
Schmerz überzog das hübsche Gesicht der jungen Frau, sie sah weg und verweigerte eine Antwort.
»Ich wiederhole mich ungerne.«
Als sie nicht reagierte, sondern weiterhin auf eine leere Stelle auf dem Boden starrte, trat er abermals vor. Behutsamer als beim ersten Mal drehte er ihr Gesicht ins Licht.
Sie wehrte sich nicht und ließ die Berührung zu. Überraschend warm und weich lag ihr Kinn in seiner Hand, Tränen glitzerten in ihren Augen. Und Joel begriff mit einer Empathie, die er längst für vergessen gehalten hatte, die traurige Tatsache. War der Tod ihrer Mutter der Auslöser für Magnus’ Tat?
»Wann?«, fragte er schlicht. Wieder hatte er Mühe, seine wahren Gefühle nicht in seiner Stimme mitschwingen zu lassen.
Die Tochter des Magnus schien sich mit der Situation abgefunden zu haben. Ihr Körper und ihr Blutrhythmus deuteten darauf hin, dass sie nicht fliehen, sondern kooperieren würde.
Tatsächlich antwortete sie: »Vor sieben Tagen.«
Magnus’ sterbliche Partnerin war gestorben, nachdem Magnus das Elixier gestohlen hatte. Was hatte der Vampir vorgehabt? Joel dachte über seine Motivation nach. Sie konnte ihm vielleicht helfen, das wichtige Mittel zu finden. Deswegen fragte er: »Wann genau?«
Judith sah ihn an. Die Stationen ihrer Überlegungen standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Selten hatte Joel einen Menschen getroffen, der seine ausdrucksstarke Mimik so wenig unter Kontrolle hatte.
Als sie zu der offensichtlichen Überzeugung gelangt war, dass die Antwort ihrem Vater nicht schaden konnte, antwortete sie: »Am frühen Abend.«
Joel nickte gedankenverloren. Mit dieser Information konnte er nichts anfangen. Er brauchte mehr Wissen, mehr Hinweise.
Judith konnte sehen, wie die Miene ihres Gegenübers noch finsterer wurde und wappnete sich innerlich gegen den nächsten Tiefschlag.
»Er hätte ihr Leben retten können!«
Sie spürte die Lüge in seinen Worten und ließ ein absichtlich herablassendes und ungläubiges »Pffft« ihre Lippen verlassen, um den furchteinflößenden Fremden von ihren wahren Gedanken abzulenken.
Ihr Blick huschte zur Tür und nahm Maß, während sie sich ihre Chancen für eine Flucht ausrechnete.
»Spar dir die Mühe, Mädchen«, dieses Mal klang die Stimme des Fremden unverkennbar sanft. Trügerisch sanft, wie eine versteckte Herausforderung. Als wünschte er sich, sie würde es probieren, damit er hinterher nicht dafür verantwortlich wäre, was er würde tun müssen, um sie aufzuhalten.
Ein neuerlicher kalter Schauder lief über Judiths Körper, noch bevor der Finstere sie zu beschwichtigen versuchte. »Ich bin nicht hinter dir her!«
Sie konnte die Lüge deutlich spüren. Eine Fähigkeit, die sie schon ihr ganzes Leben begleitete.
Die junge Frau sah Joel an. Dieses Mal wirkte ihr Gesicht so verschlossen, dass er nur raten konnte, ob sie ihm glaubte. Ihre Emotionen waren hinter einem einzigen undurchdringlichen Bollwerk verschanzt. Als sie aufsprang, waren ihre Bewegungen so schnell, dass sie es tatsächlich bis zur Tür schaffte, bevor er sie zu fassen bekam. Mit einer einzigen fließenden Bewegung riss er sie mit sich und zurück ins Bett. Er war
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