Verarschung
seines Kaffees. Er war stark versucht, einen Teller Brataal zu bestellen. «Nur eins ist mir immer noch ein Rätsel: der Mord an Jerker Ekkrot.»
«Der Autor von Der Lebenszyklus des Baltischen Störs unter besonderer Berücksichtigung der Bedingungen küstennaher Vermehrung ?»
«Genau jener. Ich gehe davon aus, dass Chamelea auch Ekkrot ermordet hat. Aber ich habe keine Ahnung, warum. Es gibt allerdings ein paar verblüffende Zusammenhänge. Chamelea hat über ihren Nacken und Rücken einen Baltischen Stör eintätowiert.»
«Sind Sie sicher, dass es kein Sibirischer Stör ist?»
«Absolut. Aber welche Verbindung könnte es zwischen ihrem Tattoo und Ekkrots Arbeit geben? Mir fällt dazu nichts ein. Außerdem habe ich aus einer Quelle erfahren, die maßgeblich an der Aufklärung des Falles beteiligt ist – ich muss seine Identität schützen, sagen wir einfach, er leitet die Ermittlungen –, dass Twig und Ekkrot in den Wochen vor ihrer Ermordung mehrere Handytelefonate geführt haben. Wissen Sie irgendetwas darüber?»
«Twig und Ekkrot waren seit Jahrzehnten unzertrennliche Freunde.»
«Ich dachte, Sie haben gesagt, Twig hätte überhaupt keine Freunde.»
«Das war die eine Ausnahme.»
«Ihr Sohn und sein bester Freund werden innerhalb von Tagen ermordet, und Sie vermeiden es, diese Verbindung zu erwähnen?»
«Das hab ich auch vergessen, ehrlich.»
«Wie dem auch sei. Was können Sie mir über Twig und Ekkrot sagen?»
«Das ist eine ziemlich lange Geschichte. Twig war ein einmalig unbegabtes Kind. Als typischer schwedischer Vater habe ich ihm die ersten Stollen-Fußballschuhe gekauft, als er noch in der Wiege lag, aber er hat überhaupt kein Interesse an diesem Sport gezeigt, nicht einmal an Eckstößen und Standardsituationen. An den nordischen Sportarten hatte er genauso wenig Interesse. Mit fünf Jahren hat er seinen ersten und letzten Sprung von der Neunzig-Meter-Schanze gemacht. Das Resultat war … nicht gut.
Twig ist immer ein schwieriger Junge geblieben, ständig war er trotzig. ‹Ich wünschte, ich wäre Holländer›, jammerte er immer. Ich muss nicht betonen, wie sehr mich das verletzte. Er hat viel gelesen, aber ausschließlich Norweger. Und am besten gefiel ihm Knut Hamsun. Stellen Sie sich das mal vor! Der Irre aus Oslo! Später war es Ibsen. Ich habe ihn zu mehreren Psychiatern gebracht, aber nichts hat geholfen. In der Schule wurde er drangsaliert und ausgegrenzt. Zwei Mal ist er durchs Staatsexamen in normgerechtem Denken und Auswendiglernen gefallen.
Das war die Zeit von Björn Borgs großen Erfolgen, und ich habe gehofft, dass Twig ein Interesse für Tennis entwickeln würde. Schließlich war das ein Sport, der mehr mit Amerika oder Australien in Verbindung gebracht wurde als mit unserer Heimat. Also habe ich in unserem Garten auf einem zugefrorenen See einen Tennisplatz gebaut und Twig bei der Königlichen Tennis-Akademie angemeldet. Aber auch das wurde ein Reinfall. Ich muss nicht erwähnen, dass sämtliche Schüler die beidhändige Rückhand im Stil von Borg beigebracht bekamen, aber Twig hat dagegen rebelliert. Er wollte einen Einhänder schlagen, wie John McEnroe. Ich habe versucht, vernünftig mit ihm zu reden, aber es war hoffnungslos. Die Akademie hat viele Top-Tennisspieler hervorgebracht – Edberg natürlich, und Wilander, dessen Kampf gegen das Nordische Dumpfheitssyndrom Sie so eindrucksvoll geschildert haben.»
«Danke.»
«Aber Twig hat es nicht einmal geschafft, einen Vorhandball sicher zu spielen. Seinem Aufschlag fehlte die Kraft, am Netz war er zaghaft, und seine Beinarbeit war schwerfällig. Kurz gesagt, die zehn Jahre Tennisunterricht waren vollkommen vergeudet. Außer Twig gab es an der Akademie nur noch einen Schüler, der beinahe genauso schwach war.»
«Jerker Ekkrot.»
«Genau. Ekkrot war genauso ein hoffnungsloser Fall. Obwohl er die beidhändige Rückhand akzeptierte, hatte er etwas gegen Topspins. Daraus folgte, dass er eine flache Vorhand spielte, und seine Bälle flogen vorhersehbarerweise immer ziemlich niedrig. Genau wie Twig war er ein ungeselliger Griesgram. In den Pausen zwischen den Smash-und Volley-Übungen hat er sich im Klo eingeschlossen und Kierkegaard gelesen. Das höchste der Gefühle war für ihn, an der Grundlinie herumzuhängen, den Schläger neben sich, und das Komitee für den Literaturnobelpreis zu verhöhnen. ‹Sehen Sie sich die Liste der Preisträger doch nur einmal an. D. H. Lawrence – nein! Kafka – nein! Joyce –
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