Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
Erklärung der
Krankenschwester – dass Eric im Schock und wegen seiner Kopfverletzung verwirrt
gewesen war – als daran, dass er Rasmus absichtlich bei mir hatte anschwärzen
wollen; trotzdem fühlte ich beim Anblick der blauen Flecken an meinem
Handgelenk eine gewisse Erleichterung darüber, dass ich ihn noch einige Tage lang
nicht zu sehen brauchte.
„Du
vergisst die nicht ganz unwesentliche Tatsache, dass Rasmus mich für einen
guten Kumpel hält“, erinnerte ich Jinxy niedergeschlagen.
„Lily,
du benimmst dich lächerlich“, schimpfte sie und tauchte ihren Pinsel so
schwungvoll in den Farbeimer, dass gesteinsgraue Tropfen auf ihre
Ringelstrümpfe spritzten. „Diese ganze Freundschaftssache war doch von Anfang
an ein richtiger Witz. Ich bin mir sicher, dass Rasmus das genauso sieht.“
„Das
kannst du überhaupt nicht wissen. Jungen, die so sind wie er … und die so aussehen wie er, flirten ganz automatisch. Sie können gar nicht anders, weil alle
Mädchen ihnen immer nur auf diese Weise begegnen“, erklärte ich.
„Was
für ein Schwachsinn.“
„Gar
nicht, das nennt man Charme .“
„Und
was war das dann bitteschön bei eurem ersten Date? Hast du ihn da als
Charmebolzen erlebt?“
„Inwiefern
soll mich das jetzt ermutigen?“, fragte ich gereizt und befestigte eine meiner
Augenbrauen-Fledermäuse an den Burgzinnen.
„Na
ja, danach habt ihr euch doch noch öfter getroffen und besser kennen gelernt.
Gelegenheit genug, dass sich was entwickeln konnte. Ich will damit nur sagen,
dass er nicht auf Anhieb allen Mädchen schöne Augen macht.“
Gedankenverloren
starrte ich in den Farbtopf, bis Jinxy mich gegen den Oberarm boxte. „Lily,
bitte denk jetzt nicht über seine schönen Augen nach.“
„Hab
ich gar nicht“, log ich kaltblütig. „Sondern darüber, dass wir nicht in
irgendeinem Highschool-Film sind, wo die Streberin am Ende den coolen
Basketballspieler kriegt.“
„Du
machst mich krank!“, stöhnte meine Freundin auf, und ich konnte ganz genau
sehen, wie sie die letzten zwei Fledermäuse hinter der Zugbrücke verschwinden
ließ. „Pass auf, ich wette mit dir, dass er dich zum Ball begleiten möchte.
Wenn ich verliere, verkleide ich mich mottogetreu als Troll. Einverstanden?“
„Und
wie soll ich das bitteschön herausfinden?“
„Ganz
einfach“, verkündete Jinxy feierlich, „du zeigst ihm, dass du verfügbar bist.“
„Hast
du damit etwa Erfahrung?“
„Klar, ich habe schon einen Begleiter. Du weißt schon, diesen Jungen mit dem
Afro, dem goldenen Ohrring und dem Piratenflaggen-Mantel.“
„Und
wie hast du ihm gezeigt, dass du verfügbar bist?“, wollte ich stirnrunzelnd
wissen.
Sie
blickte mich unschuldig an und klimperte mit ihren Wimpern. „Tja, ich habe es
ihm vielleicht weniger gezeigt, sondern vielmehr gesagt.“
„Jinxy!“
„Was
denn? Diese schrägen Typen verstehen einen nicht, wenn man es zu subtil angeht!
Aber bei Rasmus sollte es genügen, wenn du das Gespräch unauffällig auf das
Thema Ball lenkst. Das wirst du doch wohl hinkriegen!“
Statt
zu antworten fischte ich die Fledermäuse hinter der Zugbrücke hervor,
ignorierte dabei Jinxys Gesichtsausdruck und kaute nachdenklich auf meiner
Unterlippe herum, während ich meine Kunstwerke an die Miniatur-Fahnenstange
unserer Burg knüpfte. Das Vertrackte an der Sache mit Rasmus war, dass ich mich
seit dem Tag des Unfalls bemüht hatte, ihm so gut wie möglich aus dem Weg zu
gehen: In der Pause nach Englisch hatte ich behauptet, mich noch auf den
Lateinunterricht vorbereiten zu müssen, und war so schnell wie möglich in den
Klassenraum von Professor Grabowski geeilt; und beim Mittagessen hatte ich Sam
und Jinxy so gehetzt, dass wir bereits fertig waren, wenn Rasmus die Cafeteria
betrat. Einmal hatte ich den Eindruck gehabt, dass er auf mich zukommen und mit
mir reden wollte, doch es war nicht schwer gewesen, ihm zu entwischen. Das lag
vor allem daran, dass er seit seiner Rückkehr von der Meisterschaft ständig von
– hauptsächlich weiblichen – Mitschülern umringt war: Ich hatte mich schon
gefragt, wie es ihm bisher gelungen war, die Mädchen auf Distanz zu halten,
doch offenbar hatte seine düstere Ausstrahlung eine abschreckende Wirkung
gehabt. Nun allerdings, da Rasmus nicht nur seinem Team zum zweiten Platz bei
der Meisterschaft verholfen, sondern auch noch den Autounfall miterlebt hatte,
umgaben ihn neugierig schnatternde Schülerinnen wie ein Heiligenschein.
Widerwillig gab ich Jinxy
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