Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
als hätte
ich kein Gewicht.
„Gib
sie mir morgen wieder“, rief er mir zu und trat einige Schritte zurück. Ich
nickte bloß und huschte schnell zu einem Sitzplatz, weil ein paar alte Damen
zweifellos wegen meiner perplexen Miene zu gackern anfingen. Gleich darauf
schnellte ich wieder hoch, als es an der Scheibe zu meiner Seite klopfte:
Rasmus stand neben dem Bus, den Kopf in den Nacken gelegt, und machte mit der
Hand eine ungeduldige Geste. Ich kniete mich auf den Sitz und klappte den
oberen Teil des Fensters herunter.
„Was
ist denn?“
„Ich
wollte dir noch danken“, sagte er leichthin, sah mich dabei aber fest an.
„Dafür, dass du wie eine Verrückte im Krankenhaus aufgetaucht bist, um nach dem
Rechten zu sehen, und deshalb sogar riskiert hast, auf die schiefe Bahn zu
geraten. – Auch wenn deine Sorge selbstverständlich uns allen galt“, fügte er
hinzu, und in seinen schmalen Augen blitzte es auf. Schnell richtete ich den
Blick auf meinen Schoß.
„War
mir ein Vergnügen“, murmelte ich.
„Mir
auch, Lily“, glaubte ich ihn sagen zu hören, doch seine Stimme ging in dem
Motorengeräusch des startenden Busses unter. Ich hob den Kopf und konnte gerade
noch sehen, wie Rasmus mit zwei Fingern an seiner rechten Schläfe einen Gruß
andeutete, dann rollte der Wagen die Straße hinunter. Ich lehnte mich zurück,
zog die grauen Jackenärmel über meine Hände und bemühte mich, dem schmerzhaften
Ziehen in meinem Innern Herr zu werden.
Falls
ich es jemals geschafft haben sollte, mich vom Gegenteil zu überzeugen, so war
jetzt zumindest ganz klar: Ich hatte keine freundschaftlichen Gefühle
für Rasmus.
Er
gestand es sich nur ungern ein, doch er drohte die Kontrolle zu verlieren. Der
bange Ausdruck in ihren Augen, ihre Lippen, die sich im ersten Moment des
Unglaubens leicht öffneten … das alles machte nur zu deutlich, dass sie das
wahre Ausmaß des Problems unterschätzt hatte – und er selbst womöglich
ebenfalls. Es war ihm nicht gelungen, sie genügend zu verunsichern, sodass sie
auf Distanz zu gehen beschloss. Allerdings – und auch dieses Eingeständnis
kostete ihn Überwindung – hatte er sich wohl zu wenig ins Zeug gelegt, war weit
hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben. Natürlich musste er dabei
unauffällig bleiben und war somit in seinem Handeln eingeschränkt, wie er sein
Versagen gleich darauf relativierte. Außerdem gab es noch keinen Grund, sich ernsthaft
Sorgen zu machen; trotzdem würde er den weiteren Verlauf der Dinge scharf
beobachten und dann, sollte es die Situation erfordern, einen neuen Versuch
starten. Das nächste Mal würde es nicht so glimpflich ablaufen.
7.
Kapitel
„Tja
… es sind immerhin noch fast zwei Wochen bis zum Ball. Vielleicht erbarmt sich
noch jemand meiner.“
„Hör
auf mit diesem melodramatischen Getue! Du weißt genauso gut wie sämtliche
Jungen an der Galilei High, dass gestern der Kartenvorverkauf begonnen hat. Das
bedeutet, dass du dir jetzt darüber klar werden solltest, ob du einsam
und allein zum Ball gehen willst, oder ob du noch einen Begleiter auftreibst,
der für euch beide die Karten besorgt“, eröffnete mir Jinxy schonungslos.
„Außerdem bist du bestimmt nicht die Einzige, die ein Auge auf Mr
Schlafzimmerblick geworfen hat. Kurz gesagt: Ran an den Mann deiner Träume!“
Mein
vor zwei Tagen abgelegtes Geständnis, dass ich für Rasmus deutlich mehr empfand
als ich zunächst hatte zugeben wollen, hatte sie bloß mit schallendem Gelächter
quittiert. Ich hatte schon damit angefangen, mich gekränkt zu fühlen, als sie
mir den Arm um die Schultern gelegt hatte.
„Ach,
Lily, wie immer benehmen sich ausgerechnet die, die es am meisten betrifft, wie
Vogel Sträuße, die den Kopf in den Sand stecken. Oder Vögel Strauß?“
„Das
mit dem Kopf im Sand ist nur ein Mythos.“
„Pst.
Jedenfalls wusste jeder andere halbwegs vernünftige Mensch davon. Er wusste
davon“, sie hatte auf das Denkmal des spitzbärtigen Herrn gedeutet, „ich wusste
davon, und bedauerlicherweise wusste auch Sam davon, spätestens nachdem du am
Montag wie eine Irre zu Rasmus geeilt bist. Die Katze ist also nicht aus dem
Sack, sie war nie drin. Es hat nur genervt, wie lange du gebraucht hast, um das
zu begreifen.“
Jetzt
saßen wir zusammen im Zeichensaal und gaben der Burgruine ihren letzten
Schliff. Eric hütete noch das Bett und konnte uns nicht dabei unterstützen,
worüber ich auch ganz froh war: Zwar glaubte ich eher an die
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