Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
Recht: Wenn ich ihn dazu bringen wollte, mich zum
Ball zu begleiten, dann musste das so bald wie möglich geschehen.
Zu
diesem Zweck brachte ich am nächsten Tag die Jacke mit, die Rasmus mir geliehen
hatte, und hielt sie während der Englischstunde fein säuberlich gefaltet auf
dem Schoß. Mehrmals widerstand ich der Versuchung, meine schweißnassen Hände
daran abzuwischen: An das Kribbeln im Nacken, das mich daran erinnerte, wie
dicht Rasmus hinter mir saß, hatte ich mich schon beinahe gewöhnt, doch diesmal
war meine Nervosität um ein Vielfaches schlimmer als sonst.
„Lesen
Sie bis morgen die letzten zwei Akte und schreiben Sie eine Zusammenfassung“,
beendete Professor Scott, begleitet von einem allgemeinen Aufstöhnen, die
Englischstunde. Sofort sprang ich von meinem Sitz hoch.
„Wieder
Vokabellernen vor der Lateinstunde?“, fragte Jinxy genervt.
„Nein“,
antwortete ich mit zusammengebissenen Zähnen, „Operation Trollkostüm.“
„Oh!“
Ein Strahlen ging über ihr Gesicht. „Immer schön positiv denken, Lily! Und
lä-cheln!“ Sie gab mir einen Schubs, der mich unsanft gegen Professor Scott
stolpern ließ. Nachdem ich mit hochrotem Kopf einige Entschuldigungen
gestammelt hatte, stürzte ich aus dem Klassenzimmer und holte Rasmus am Ende
des Flurs ein.
„Hey,
ich wollte dir deine Jacke zurückgeben!“, rief ich und schwenkte das
Stoffbündel durch die Luft.
Er
blieb stehen und sah mir ein wenig spöttisch entgegen. „Ach, das wäre doch
nicht nötig gewesen. Ich habe in den letzten Tagen wirklich kein bisschen
gefroren.“
„Ich
habe sie gewaschen“, erklärte ich und versuchte mich nicht beirren zu lassen.
Sofort
vergrub Rasmus seine Nase in dem grauen Stoff und sog scharf die Luft ein.
„Tatsächlich“, stellte er fest, und irgendwie hörte es sich enttäuscht an.
„Danke sehr.“
„Keine
Ursache“, winkte ich ab, „ich muss in letzter Zeit sowieso ständig Wäsche
waschen. Zum Beispiel, weil Farbflecken auf meinen Jeans sind – das passiert
ziemlich oft, wenn man Dekoration für einen Schulball bastelt. Und der ist ja
auch schon in weniger als zwei Wochen.“ Okay, die Überleitung war vielleicht
nicht die eleganteste, aber das war nun nicht mehr zu ändern.
„Hm
… tut mir leid für dich, dass du so in Schmutzwäschebergen versinkst“,
antwortete Rasmus etwas ratlos und machte sich auf den Weg zu seinem
Schließfach.
„Ist
nicht schlimm“, sagte ich verbissen und versuchte mit ihm Schritt zu halten,
„immerhin ist der Ball etwas, worauf man sich freuen kann.“
„Aha.
Nun, wenn man gerne in Halloweenkostümchen unter Kristalllüstern tanzt, ist das
sicher ein Lichtblick.“
„Sei
doch kein Spielverderber. Das mit den Kostümen wird bestimmt lustig!“
„An
manchen Personen wahrscheinlich schon“, räumte er ein. „Übrigens, als was wirst
du denn erscheinen?“
„Das
weiß ich noch nicht genau … Ich könnte mein Kostüm vielleicht auf das meines
Begleiters abstimmen.“ Inzwischen hatte ich in meinen Hosentaschen so fest die
Fäuste geballt, dass sich die Fingernägel in mein Fleisch bohrten.
„Klingt
nach einem guten Plan. Und als was geht dein Begleiter?“
„Ich
habe noch keinen“, sagte ich langsam und zwang mich, Rasmus direkt in die Augen
zu starren.
„Hm
… zu dumm“, murmelte er, kramte im Schließfach und stopfte einige Bücher in
seinen Rucksack. Er schien zu überlegen – dann zog er ruckartig den
Zippverschluss zu und richtete sich auf. „Aber du könntest doch diesen Jungen
fragen, mit dem du immer in der Cafeteria sitzt“, schlug er freundlich vor.
Es
war, als würde mir eine Handvoll Eiswürfel in den Magen geschoben. „Du meinst
Sam?“, fragte ich tonlos. „Aber wir sind bloß Freunde. Da könnte ich gleich
Jinxy als Begleitung wählen.“
„Blendende
Idee!“, rief Rasmus begeistert aus und schwang den Rucksack über seine
Schulter. „An der Galilei High wäre so etwas schon ein mittlerer Skandal. Offen
zur Schau gestellte sapphische Liebe würde diese Tanzerei definitiv ein wenig
aufpeppen.“
„Ja,
hör mal, ich muss jetzt zum Unterricht.“
Rasmus
kniff die Augen zusammen. „Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.
Hoffentlich bin ich da nicht gerade in ein ganz spezielles Fettnäpfchen
getreten?“
„Blödsinn.“
Allmählich befürchtete ich, mein krampfhaftes Lächeln könnte Sprünge in meinem
Gesicht hinterlassen. „Ich will bloß die Grabowski nicht verärgern. Wir sehen
uns.“
„Okay,
halt
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