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aber ein Täter konnte nie identifiziert werden. Eine Lea kam auf Harriet Vangers Liste nicht vor. Und es passte auch keines von ihren Bibelzitaten.
Ein Tatumstand war jedoch so bizarr, dass er Lisbeth Salander sofort ins Auge stach: Ungefähr zehn Meter von der Stelle entfernt, an der man Leas Leiche gefunden hatte, fand man einen Blumentopf mit einer toten Taube. Irgendjemand hatte der Taube eine Schnur um den Hals gelegt und sie durch das Loch im Blumentopfboden gezogen. Danach hatte man den Topf auf ein kleines Feuer gestellt, das zwischen zwei Ziegelsteinen entfacht worden war. Es gab keinen Hinweis darauf, dass diese Tierquälerei etwas mit dem Lea-Mord zu tun hatte. Es hätte genauso gut sein können, dass Kinder hier ein schrecklich grausames Sommerspiel gespielt hatten, aber die Medien titelten Der Taubenmord .
Lisbeth Salander war keine Bibelleserin - sie besaß nicht einmal eine Bibel -, aber am Abend ging sie zur Högalids-Kirche, und mit ein bisschen Mühe glückte es ihr schließlich, sich eine Bibel auszuleihen. Sie setzte sich auf eine Parkbank vor der Kirche und las das Dritte Buch Mose. Als sie bei Kapitel 12, Vers 8 angekommen war, zog sie die Augenbrauen hoch. Kapitel 12 handelte von der Reinigung der Wöchnerinnen.
Vermag sie aber nicht ein Schaf aufzubringen, so nehme sie zwei Turteltauben oder zwei andere Tauben, eine zum Brandopfer, die andere zum Sündopfer; so soll sie der Priester entsühnen, dass sie rein werde.
Lea hätte problemlos in Harriets Adressbuch stehen können, als Lea - 31208.
Lisbeth Salander wurde plötzlich klar, dass keine Recherche früher auch nur annähernd die Dimensionen von Mikael Blomkvists Auftrag gehabt hatte.
Mildred Brännlund, die nach ihrer zweiten Heirat Mildred Berggren hieß, öffnete die Tür, als Mikael Blomkvist am Sonntagmorgen gegen zehn bei ihr klopfte. Die Frau war fast vierzig Jahre älter und ungefähr genauso viele Kilo schwerer, aber Mikael erkannte sofort das Mädchen vom Foto wieder.
»Hallo, ich heiße Mikael Blomkvist. Sie müssen Mildred Berggren sein.«
»Ja, das ist richtig.«
»Ich bitte um Entschuldigung, dass ich hier einfach so bei Ihnen anklopfe, aber ich versuche schon seit geraumer Zeit, Sie zu erreichen. Es geht um eine Angelegenheit, die ziemlich kompliziert zu erklären ist.« Mikael lächelte sie an. »Dürfte ich kurz reinkommen und ein wenig Ihrer Zeit in Anspruch nehmen?«
Mildreds Mann und ein zirka fünfunddreißigjähriger Sohn waren zu Hause. Sie bat Mikael ohne großes Zögern, in der Küche Platz zu nehmen. Er gab allen die Hand. In den vergangenen Tagen hatte Mikael mehr Kaffee getrunken als je zuvor in seinem Leben, aber dabei hatte er gelernt, dass es in Norrland unhöflich wäre, das Angebot abzulehnen. Als die Kaffeetassen auf dem Tisch standen, setzte Mildred sich hin und fragte neugierig, wie sie ihm helfen könne.
Mikael konnte ihren Norsjö-Dialekt kaum verstehen, und so wechselte sie ins Hochschwedische.
Mikael atmete tief durch. »Es ist eine lange und seltsame Geschichte. Im September 1966 waren Sie in Hedestad, zusammen mit Ihrem damaligen Mann Gunnar Brännlund.«
Sie war verblüfft. Er wartete, bis sie nickte, bevor er das Foto von der Bahnhofstraße vor ihr auf den Tisch legte.
»Damals wurde dieses Bild aufgenommen. Erinnern Sie sich an die Zusammenhänge?«
»Ach du lieber Gott«, sagte Mildred Berggren. »Das ist ja fast schon vierzig Jahre her.«
Ihr zweiter Mann und ihr Sohn stellten sich hinter sie und betrachteten das Foto.
»Da waren wir auf Hochzeitsreise. Wir sind mit dem Auto nach Stockholm und Sigtuna gefahren. Auf dem Rückweg haben wir einfach irgendwo haltgemacht. In Hedestad, sagten Sie?«
»Ja, genau, das war in Hedestad. Dieses Bild wurde ungefähr um ein Uhr mittags aufgenommen. Ich habe lange daran gearbeitet, Sie zu identifizieren, das war kein Kinderspiel.«
»Sie sind auf ein altes Bild von mir gestoßen und haben mich dann gefunden? Ich habe keine Ahnung, wie Sie das geschafft haben.«
Mikael legte das Bild vom Parkplatz auf den Tisch.
»Dank dieses Bildes, das etwas später gemacht wurde.« Mikael erklärte ihr, wie er über die Tischlerei Norsjö Eugen Burman ausfindig gemacht hatte, der ihn wiederum zu Henning Forsman in Norsjövallen führte.
»Ich schätze, Sie haben einen guten Grund für diese außergewöhnliche Suchaktion.«
»Allerdings. Dieses Mädchen, das hier auf dem Bild schräg vor Ihnen steht, hieß Harriet. Sie verschwand an diesem Tag,
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