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liebsten ins Gesicht treten?
Sie seufzte, hob unglücklich den Blick und sah einem Fernlastzug nach, der auf der E4 vorbeibrummte.
Mikael saß immer noch im Garten, als er gegen acht Uhr abends Motorradgeknatter hörte und Lisbeth über die Brücke fahren sah. Sie parkte und nahm den Helm ab. Dann trat sie an den Gartentisch und legte ihre Hand an die Kaffeekanne, die leer und kalt war. Mikael sah sie verblüfft an. Sie nahm die Kanne und ging in die Küche. Als sie wieder herauskam, hatte sie die Motorradlederjacke ausgezogen und trug Jeans und ein T-Shirt mit dem Aufdruck I can be a regular bitch. Just try me.
»Ich dachte, du wärst gefahren«, sagte Mikael.
»Ich bin in Uppsala umgekehrt.«
»Ganz hübscher Tagesausflug.«
»Mir tut der Hintern weh.«
»Warum bist du umgekehrt?«
Sie antwortete nicht. Mikael blieb stur und wartete stumm und Kaffee trinkend ihre Antwort ab. Nach zehn Minuten brach sie das Schweigen.
»Ich bin gerne mit dir zusammen«, gab sie widerwillig zu.
Solche Worte hatte sie noch nie zuvor in den Mund genommen.
»Es war … interessant, mit dir an diesem Fall zu arbeiten.«
»Mir hat’s auch gefallen, mit dir zusammenzuarbeiten«, erklärte Mikael.
»Hmm.«
»Fakt ist, ich habe noch nie mit einer so phantastischen Ermittlerin zusammengearbeitet. Okay, ich weiß, dass du eine verdammte Hackerin bist und in suspekten Kreisen verkehrst, wo du ja anscheinend nur den Hörer abzunehmen brauchst, um innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden einen Telefonanschluss in London illegal abhören zu lassen, aber du kommst damit eben auch zu gewissen Ergebnissen.«
Zum ersten Mal, seit sie sich an den Tisch gesetzt hatte, sah sie ihn an. Er kannte so viele ihrer Geheimnisse. Wie hatte das passieren können?
»Das ist eben so. Ich kann mit Computern umgehen. Ich hatte noch nie Probleme damit, einen Text zu lesen und exakt zu verstehen, was drinsteht.«
»Dein fotografisches Gedächtnis«, sagte er ruhig.
»Schätzungsweise. Ich verstehe einfach, wie alles funktioniert. Nicht nur Computer und Telefonnetze, sondern auch der Motor in meiner Maschine und Fernseher und Staubsauger und chemische Prozesse und astrophysikalische Formeln. Ich bin verdreht im Kopf. Ein Freak.«
Mikael runzelte die Brauen. Er schwieg lange.
Asperger-Syndrom , dachte er. Oder irgendwas in der Richtung. Ein Talent, Muster zu erkennen und abstrakte Gedankengänge zu begreifen, wo andere nur Chaos sehen.
Lisbeth starrte auf den Tisch.
»Die meisten Menschen würden was drum geben, so eine Begabung zu haben.«
»Ich will nicht darüber reden.«
»Okay, dann lassen wir das eben. Warum bist du zurückgekommen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht war’s ein Fehler.«
Sie sah ihn forschend an.
»Lisbeth, kannst du mir mal das Wort ›Freundschaft‹ definieren?«
»Wenn man jemanden mag.«
»Ja, aber wie kommt das zustande, dass man jemanden mag?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Freundschaft - nach meiner Definition - baut auf zwei Dingen auf«, sagte er plötzlich. »Respekt und Vertrauen. Absolute Freundschaft basiert auf absolutem Respekt und absolutem Vertrauen. Beide Faktoren müssen dabei sein. Und es muss auf Gegenseitigkeit beruhen. Man kann Respekt für jemand empfinden, aber wenn man ihm kein Vertrauen schenkt, dann zerbricht die Freundschaft.«
Sie schwieg noch immer.
»Ich weiß mittlerweile, dass du mit mir nicht über dich selbst sprechen willst, aber irgendwann musst du mal entscheiden, ob du mir Vertrauen entgegenbringst oder nicht. Ich möchte, dass wir Freunde sind, aber das kann ich nicht alleine schaffen.«
»Ich hab gern Sex mit dir.«
»Sex hat nichts mit Freundschaft zu tun. Natürlich können Freunde auch Sex miteinander haben, aber wenn ich bei dir wählen müsste, dann wüsste ich, wofür ich mich entscheide.«
»Ich verstehe dich nicht. Willst du Sex mit mir haben oder nicht?«
Mikael biss sich auf die Lippe. Schließlich seufzte er.
»Man sollte keinen Sex mit Leuten haben, mit denen man zusammenarbeitet«, murmelte er. »Das gibt nur Ärger.«
»Ist mir da irgendwas entgangen, oder ist es nicht doch so, dass du und Erika Berger bei jeder Gelegenheit fickt? Und sie ist obendrein auch noch verheiratet.«
Mikael schwieg eine Weile.
»Erika und ich … haben eine Geschichte, die anfing, lange bevor unsere Zusammenarbeit begann. Dass sie verheiratet ist, geht dich nichts an.«
»Aha, und jetzt willst du plötzlich auch nicht mehr über dich selbst reden. Ging es bei
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