Verblendung
Freundschaft nicht um Vertrauen?«
»Ja, aber ich meine, wir sollten nicht hinter ihrem Rücken über sie reden. Damit würde ich ihr Vertrauen missbrauchen. Ich würde auch nicht hinter deinem Rücken mit Erika über dich reden.«
Lisbeth dachte über seine Worte nach. Ein heikles Gespräch war das geworden. Sie mochte keine heiklen Gespräche.
»Ich hab gerne Sex mit dir«, wiederholte sie.
»Ich auch mit dir … aber ich bin alt genug, um dein Vater zu sein.«
»Dein Alter ist mir egal.«
»Du kannst den Altersunterschied nicht ignorieren. Das ist keine gute Ausgangsposition für eine dauerhafte Beziehung.«
»Wer hat denn von dauerhaft gesprochen?«, fragte Lisbeth. »Wir haben gerade einen Fall abgeschlossen, in dem Männer mit total kranker Sexualität eine tragende Rolle gespielt haben. Wenn es nach mir ginge, würde ich solche Männer ausrotten, einen nach dem andern.«
»Von Kompromissen hältst du auf jeden Fall nicht viel.«
»Nein«, sagte sie und lächelte ihr gequältes Lächeln. »Aber so einer bist du ja auch nicht.«
Sie stand auf.
»Ich geh jetzt rein und dusche, und dann werde ich mich nackt in dein Bett legen. Wenn du glaubst, dass du zu alt bist, dann kannst du dich ja stattdessen aufs Feldbett legen.«
Mikael sah ihr nach. Was für Störungen Lisbeth sonst auch haben mochte, Schamgefühl gehörte nicht dazu. Bei ihren Diskussionen zog er mit schöner Regelmäßigkeit den Kürzeren. Nach einer Weile räumte er die Kaffeetassen ab und folgte ihr.
Sie standen gegen neun auf, duschten gemeinsam und frühstückten im Garten. Gegen elf rief Dirch Frode an und teilte ihnen mit, dass die Beerdigung um zwei Uhr nachmittags stattfinden würde. Er fragte, ob sie auch anwesend sein würden.
»Ich glaube, eher nicht«, sagte Mikael.
Frode bat, um sechs Uhr zu einem Gespräch vorbeikommen zu dürfen. Mikael erklärte sich einverstanden.
Er verbrachte ein paar Stunden damit, Papiere in Umzugskartons zu sortieren und sie in Henriks Arbeitszimmer hinüberzutragen. Zum Schluss waren nur noch seine eigenen Notizbücher übrig und die zwei Ordner zur Affäre Hans-Erik Wennerström, die er seit einem halben Jahr nicht mehr geöffnet hatte. Er seufzte und verstaute sie in seiner Tasche.
Dirch Frode verspätete sich und kam nicht vor acht. Er trug immer noch seinen schwarzen Anzug und sah mitgenommen aus, als er sich aufs Küchensofa setzte und dankbar eine Tasse Kaffee von Lisbeth entgegennahm. Sie setzte sich an den kleinen Tisch und beschäftigte sich mit ihrem Computer, während Mikael fragte, wie Harriets Wiederauferstehung von der Familie aufgenommen worden war.
»Man kann sagen, es hat Martins Hinscheiden etwas in den Hintergrund gedrängt. Mittlerweile haben auch die Medien Wind von der Sache bekommen.«
»Und wie erklären Sie die Situation?«
»Harriet hat mit einem Journalist des Kuriren gesprochen. Offiziell ist sie von zu Hause ausgerissen, weil sie Schwierigkeiten mit ihrer Familie hatte. Sie sei aber in der Welt bestens klargekommen, meint sie, da sie heute immerhin ein Unternehmen führt, das ebenso viel Umsatz macht wie der Vanger-Konzern.«
Mikael stieß einen überraschten Pfiff aus.
»Ich wusste ja schon, dass man mit australischen Schafen gutes Geld verdienen kann, aber nicht, dass ihre Ranch so hervorragend läuft.«
»Ihre Ranch läuft wirklich ganz ausgezeichnet, und sie ist nicht ihre einzige Einnahmequelle. Das Unternehmen Cochran macht sein Geld auch mit Bergbau, Opalen, produzierenden Betrieben, Speditionen, Elektronik und noch einer Menge mehr.«
»Hoppla. Und was wird jetzt damit?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Den ganzen Tag sind immer mehr Leute angekommen, und die Familie ist zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder so gut wie vollständig versammelt. Es sind viele von der jüngeren Generation aufgetaucht - ab zwanzig aufwärts. Heute Abend sind wohl um die vierzig Vangers in Hedestad, von denen die eine Hälfte im Krankenhaus sitzt und Henrik ermüdet, während die andere Hälfte im Stadthotel mit Harriet redet.«
»Harriet ist sicher die große Sensation. Wie viele wissen von der Geschichte mit Martin?«
»Bis jetzt nur Henrik, Harriet und ich. Wir haben ein langes Gespräch geführt. Diese ganze Sache mit Martin und … seinen Perversionen drängt die meisten Dinge für uns in den Hintergrund. Das hat eine kolossale Krise des Konzerns nach sich gezogen.«
»Das kann ich verstehen.«
»Es gibt keinen natürlichen Erben, aber Harriet wird eine
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