Verblendung
selbst damals hatte sie ihn nicht als so düster und resigniert empfunden, wie er ihr nun in seiner Niederlage vorkam. Sie umrundete ihren Schreibtisch, setzte sich rittlings auf ihn und schlang ihm die Arme um den Hals.
»Mikael, hör mal zu. Wir wissen beide ganz genau, was hier passiert ist. Ich bin genauso verantwortlich wie du. Wir müssen das gemeinsam durchstehen.«
»Da gibt es nichts durchzustehen. Das Urteil bedeutet für mich den medialen Genickschuss. Ich kann nicht als verantwortlicher Herausgeber bei Millennium bleiben. Es geht einfach um die Glaubwürdigkeit dieses Magazins. Um Schadensbegrenzung. Das weißt du doch genauso gut wie ich.«
»Wenn du denkst, dass ich dich die Schuld ganz alleine tragen lasse, dann hast du in all den Jahren wirklich noch gar nichts über mich gelernt.«
»Ich weiß genau, was in dir vorgeht, Ricky. Du bist auf eine einfältige Art und Weise loyal zu deinen Mitarbeitern. Wenn du die Wahl hast, dann streitest du dich mit Wennerströms Rechtsanwälten rum, bis auch deine Glaubwürdigkeit ruiniert ist. Das können wir uns nicht leisten.«
»Und du hältst es also für einen klugen Plan, bei Millennium auszusteigen und es so aussehen zu lassen, als hätte ich dich gefeuert?«
»Wir haben das doch schon hundertmal durchgesprochen. Wenn Millennium überleben soll, kommt es jetzt ganz auf dich an. Christer ist ein richtig guter Kerl, der alles Mögliche über Bilder und Layout weiß, aber von Machtkämpfen mit Milliardären hat er keinen Schimmer. Das ist nicht sein Ding. Ich muss Millennium bald den Rücken kehren, als Herausgeber, Reporter und Führungsmitglied; meinen Anteil übernimmst du. Wennerström weiß, dass ich weiß, was er getan hat, und ich bin überzeugt, solange er weiß, dass ich mich in der Nähe von Millennium aufhalte, wird er nichts unversucht lassen, um das Magazin in die Knie zu zwingen.«
»Aber warum willst du nicht mit den Fakten an die Öffentlichkeit gehen - auf Biegen und Brechen!«
»Weil wir nicht das Geringste beweisen können, und weil ich derzeit nicht die mindeste Glaubwürdigkeit besitze. Diese Runde hat Wennerström gewonnen. Vorbei. Gib es auf.«
»Okay, du bist also gefeuert. Was wirst du stattdessen machen?«
»Ich brauche ganz einfach eine Pause. Ich fühle mich total ausgebrannt und bin kurz davor, an meine Belastungsgrenze zu stoßen. Ich werde mich ein Weilchen um mich selbst kümmern. Dann sehen wir weiter.«
Erika umarmte Mikael und zog seinen Kopf an ihre Brust. Sie drückte ihn fest an sich. Schweigend und unglücklich blieben sie ein paar Minuten so sitzen.
»Soll ich heute Abend bei dir bleiben?«, fragte sie.
Mikael Blomkvist nickte.
»Gut. Ich habe Greger schon angerufen und ihm Bescheid gesagt, dass ich heute Nacht bei dir schlafe.«
Die einzige Lichtquelle im Zimmer war die Straßenlaterne, die vom Fenstersturz reflektiert wurde. Als Erika irgendwann nach zwei Uhr morgens einschlief, lag Mikael wach und betrachtete im Halbdunkel ihr Profil. Sie war nur bis zur Taille zugedeckt, und er sah zu, wie sich ihre Brust langsam hob und senkte. Er war entspannt, und der angsterfüllte Knoten in seinem Zwerchfell hatte sich gelöst. Erika hatte diese Wirkung auf ihn. Sie hatte sie schon immer gehabt. Und er wusste, dass er dieselbe Wirkung auf sie hatte.
Zwanzig Jahre, dachte er. So lange hatten Erika und er schon ein Verhältnis. Wenn es nach ihm ging, konnten sie auch die nächsten zwanzig Jahre noch miteinander Sex haben. Mindestens. Sie hatten nie ernsthaft versucht, ihr Verhältnis zu verbergen, wenngleich sich dadurch ungeheuer heikle Situationen in ihren Beziehungen zu anderen Menschen ergeben hatten. Er wusste, dass man in ihrem Bekanntenkreis über sie sprach, und dass die Leute sich fragten, was für eine Art Verhältnis die beiden eigentlich verband. Erika und er gaben rätselhafte Antworten und ignorierten die Kommentare.
Sie hatten sich auf einem Fest bei gemeinsamen Freunden kennengelernt. Sie studierten beide im zweiten Jahr Journalistik und lebten jeweils in einer festen Beziehung. Im Laufe des Abends hatten sie sich gegenseitig mehr provoziert, als gut für sie war. Ihr Flirt hatte vielleicht als Scherz begonnen - er war sich da nicht ganz sicher -, doch bevor sie auseinandergingen, tauschten sie Telefonnummern. Sie wussten, dass sie miteinander im Bett landen würden, und innerhalb einer Woche hatten sie dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt, hinter dem Rücken ihrer jeweiligen Partner.
Mikael war
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