Verborgene Lust
wilden roten Haare. »Sie behauptet, es sei besser gewesen, dass ich keinen Kontakt zu meinem Vater gehabt habe, als zu erleben, dass sich meine Eltern gegenseitig an die Gurgel gehen.«
»War es wirklich so schlimm?«
»Ich erinnere mich nicht, Valentina. Ich war zu klein.«
Antonella ringt die Hände.
»Ich habe daraufhin gesagt, dass sie mit der Trennung vielleicht recht hat. Dass er aber nach Argentinien gegangen ist und uns alle einfach im Stich gelassen hat, sei nicht zu entschuldigen. Sie behauptet jedoch, der neue Mann meiner Mutter, mein Stiefvater, habe ihn aus dem Weg haben wollen.«
»Meinst du, das stimmt?«
Valentina beugt sich vor, und Antonella lässt hilflos die Arme sinken.
»Ich weiß es nicht. Das habe ich noch nie gehört.« Antonella wirkt beunruhigt. »Mit meinem Stiefvater bin ich nie gut ausgekommen, aber ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass er meinen Vater davon abgehalten hat, uns zu sehen.«
»Nun, es gibt immer zwei Seiten«, bemerkt Valentina.
Sie kennt Antonellas Stiefvater und mag ihn nicht. Er macht ihr immer schöne Augen. Antonella schüttelt sich, als wolle sie sich wachrütteln. Sie nimmt sich noch Kaffee und knabbert an einem Stück kalten Toasts herum.
»Und warum hat dein Vater euch verlassen, Valentina? Warum hast du ihn all die Jahre nie gesehen?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung.« Hastig lenkt Valentina das Gespräch zurück auf Antonellas Familie. »Zumindest hast du deinen Vater in Argentinien besucht. Du kennst ihn.«
»Ja, aber er könnte genauso gut ein Fremder sein.«
Valentina beugt sich wieder vor. Plötzlich verspürt sie den Drang, sich Antonella anzuvertrauen, auch wenn die Freundin überaus indiskret ist.
»Ich habe kürzlich etwas herausgefunden«, sagt Valentina, zögert und befeuchtet ihre Lippen, dann fährt sie fort: »Mein Vater lebt in London.«
Antonella reißt die Augen auf.
» Mamma mia ! Das ist ja aufregend! Wirst du ihn sehen?«
»Ich weiß nicht. Ich meine, wie du schon sagst, wir sind Fremde. Wozu?«
»Komm schon. Denk dran, Thomas hat dich immer die unerschrockene Valentina genannt.«
Als Antonella Thomas’ Spitznamen für sie erwähnt, zuckt sie zusammen.
»Natürlich wirst du deinen Vater besuchen! Wo wohnt er?«
»In der Nähe der Finchley Road. Das ist in Nordlondon, oder?« Sie holt tief Luft und schmeckt ihre Verbitterung. Antonella hat recht. Warum so schüchtern? Sie ist eine erwachsene Frau von fast dreißig Jahren. Ihr steht zu, ein paar Dinge zu erfahren.
»Du hast recht, Toni. Ich will wissen, warum er mich nie besucht und mir nie geschrieben hat. Warum er sich überhaupt nicht für mein Leben interessiert. Ich begreife das nicht.«
Antonella fasst ihre Hand. Anscheinend macht der Kater sie sentimentaler als üblich, denn Valentina sieht Tränen in den Augen ihrer Freundin. »Ich glaube, unsere Väter sind Männer, die Ordnung in ihrem Leben halten. Und ich glaube, ihre Töchter haben sie einfach mit anderen Dingen in ein Regal gepackt und vergessen.«
»Glaubst du wirklich, dass unsere Väter nie an uns gedacht haben?«
»Ja. Wie konnten sie sonst damit leben? Wir sind väterlose Frauen, Valentina.« Antonella zieht ihre Hand zurück und wischt sich die Augen. Zu Valentinas Überraschung erscheint dann ein breites Grinsen auf dem Gesicht der Freundin. »Und weißt du was? Das ist gut so, denn es gibt nichts Schlimmeres, als Daddys kleines Mädchen zu sein.«
Valentina nickt zustimmend. Das ist eine der wenigen Sachen, die sie an ihrer alten Schulfreundin Gaby stört. Die fordernde Art ihrem Vater gegenüber und dass dieser stets zur Stelle ist, wenn sie kein Geld mehr hat oder etwas in ihrer Wohnung getan werden muss. Antonella und Valentina müssen ihre Regale selbst anbringen.
Antonellas Lächeln verblasst, und sie stöhnt.
»Alles okay?«, fragt Valentina.
Ihre Freundin steht auf und hält sich den Kopf, als wäre er ein zerbrechlicher Gegenstand.
»Es tut mir leid, Valentina, ich leide richtig. Ich muss zurück ins Bett. Ich kann heute einfach keinen Einkaufsbummel machen. Hast du etwas dagegen, ohne mich zu gehen?« Sie lacht halbherzig. »Vielleicht kannst du in dieses verstaubte alte Museum gehen, solange ich außer Gefecht bin. Ich weiß, dass du ganz heiß darauf bist.«
Valentina sitzt im Café der alten Tate Gallery. Den Vormittag hat sie im British Museum verbracht und versucht, die Mumien der ägyptischen Abteilung zu studieren. Sie war jedoch zu sehr mit den
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