Verborgene Lust
ist fraglich«, widerspricht Valentina und holt sie ein, »denn du bist Teil meiner Inszenierung.«
»Ach, ja, eine deiner erotischen Kompositionen.« Sie dreht sich mit leuchtenden Augen zu ihr um. »Siehst du, du musst mich mit nach London nehmen. Schließlich bin ich einer der Stars in deiner Ausstellung!«
In der samtenen Unterwelt ist alles so, wie Valentina es am Nachmittag vorbereitet hat. Nur das eigens von ihr entwickelte Geschirr ist nun besetzt. Heute Abend wird sie ihre Reihe über Dominas fortsetzen und dazu wie üblich Antonella als Protagonistin benutzen. Sie hatte Leonardo davon überzeugt, dass sie ihre eigene Kreation des hängemattenähnlichen Geschirrs über dem Himmelbett anbringen durfte. Die roten und lilafarbenen Elemente um das Bett herum hat sie entfernt und stattdessen ein strahlend weißes Laken darüber gebreitet. Den schweren Stoff hat sie durch Moskitonetze ersetzt, die im Kerzenschein flackern. In den Ecken stehen zwei Lichtbögen, die dramatische Schatten des Geschirrs auf Wände und Decke werfen.
Wochenlang hat sie nach dem richtigen Material für das Geschirr gesucht. Dieses Bild ist von besonderer Bedeutung für die Reihe, da sie dabei ist, endlich ihre Abneigung gegen dominante Handlungen zu überwinden. Als Sub hat sie selbst erlebt, dass sie auf diverse Arten von Schmerz mit Lust reagiert. Dennoch kann sie noch immer schwer glauben, dass das Zufügen von Schmerz ebenso erotisch sein soll. Leonardo behauptet, sie sei selbstbezogen, denn die Teilnehmer solcher Spiele wollten extreme Situationen erleben. Doch bei der Erinnerung daran, wie sie zum ersten Mal die samtene Unterwelt betreten hat, erschaudert sie noch immer. Erst Antonella hat ihr ansatzweise vermitteln können, was sie daran erregt, dominant zu sein.
»Es geht nicht nur um Macht«, hatte ihre Freundin erklärt. »Es geht um Kontrolle. Es ist eine große Verantwortung. Du musst genau wissen, wie weit du gehst, vor allem, wenn sie einen Knebel tragen und nicht sprechen können. Du musst ihre Körperreaktion deuten. Du musst unglaublich sensibel sein.«
»Aber wie kannst du das erotisch finden?«, hatte Valentina gefragt. »Das erregt mich einfach nicht.«
»Nun, so ist das bei dir, und das ist okay. Mir gefällt es, meine Fantasie auszuleben. Es geht nicht darum, Männern wehzutun, Valentina. Du weißt, dass ich Männer liebe. Es geht darum, die empfindsame Seite eines Mannes zu entdecken. Seine Verletzlichkeit. Das gefällt mir.«
Als sie es ihr auf diese Weise erklärte, begann Valentina langsam zu begreifen. Darum hat sie ein Szenario entwickelt, das eher den zarten Kern der männlichen Sexualität als seine masochistische Seite zeigte. Aber sie wusste nicht, wie sich das Ganze entwickeln würde.
Sie hat das hängemattenähnliche Geschirr aus elfenbeinfarbener Seide fertigen lassen. Antonellas Partner für den heutigen Abend hat sich bereits mit dem Gesicht nach unten hineingelegt. Durch die Seide zeichnen sich die Umrisse seines nackten Körpers ab.
»Ach, das ist hübsch, Valentina. Es passt zu dir«, flüstert Antonella und deutet auf Valentinas rückenfreien elfenbeinfarbenen Overall, der nur von einem Seidenband gehalten wird. Valentina nimmt ihre Kamera, die sie nachmittags im Raum zurückgelassen hat. Das Gewicht in ihren Händen beruhigt ihren rasenden Herzschlag. Jedes Mal wenn sie diesen Raum betritt, empfindet sie unwillkürlich etwas Angst. Vielleicht ist es der Anblick all der Requisiten an den Wänden: der Peitschen und Reitgerten, der Ketten und groben Seile.
»Weißt du noch, was du tun sollst?«, flüstert sie Antonella zu.
Ihre Freundin nickt. »Klar, aber es steht mir frei, meinem Instinkt zu folgen, oder?«
Valentina nickt ergeben. Antonella hat schon manches Mal die künstlerischen Grenzen von Valentinas Fotografie überschritten.
Antonella schreitet zum Bett und steigt auf die Matratze. Zunächst wankt sie einen Augenblick, denn ihre Absätze sind wirklich unglaublich hoch, doch schnell findet sie ihr Gleichgewicht wieder. Jetzt steht sie über dem Mann in der Hängematte und blickt auf ihn hinunter. Es ist ihr derzeitiger Liebhaber, Mikhail, ebenfalls Künstler und genau wie Antonella experimentierfreudig.
Valentina macht eine Aufnahme von Antonella, während diese ihren Liebhaber betrachtet und überlegt, was sie tun wird. Sie sagt noch nichts, und das ist Valentina ganz recht. Die meist höhnischen Sätze der Dominas wirken auf sie klischeemäßig und alles andere als erotisch.
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